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f
Pallstiia
Land und Leute.
Reisescbilderimgen
von
Berlin 1898
Verlag: Siegfried Cronbach.
>u
Herrn Doctor Hirsch Hildesheimer,
seinem hochverehrten Freunde, dem eifrigsten Förderer
aller Bestrebungen zur Wiederbesiedelung Palästinas,
zum Zeichen seiner Hochachtung und Ergebenheit ge-
widmet vom
Verfasser.
I ■
Mei der grossen Anzahl von Reiseschilderungen,
die heute schon über Palästina vorhanden sind, er-
scheint es etwas gewagt ein neues Buch Ober dieses
Land zu schreiben, um so mehr, als ich gamicht in
der Lage bin, tiefgelehrte Forschungen über die alten
Baudenkmäler oder die Resultate der Ausgrabungen in
Jerusalem etc. meinen Lesern zu geben. Dennoch
dürfte die vorliegende Schrift in dieser umfang-
reichen Litteratur eine Sonderstellung einnehmen, weil
ich als Jude und strenggläubiger Jude den Verhält-
nissen der Juden Palästinas und besonders dem inter-
essanten Versuche der jüdischen Ackerbaut olonisation
im heiligen Lande besondere Aufmerksamkeit schenkte.
Seit 40 Jahren, seit der Reise nach Jerusalem von
Ludwig August Frankl, ist keine Schilderung einer
Reise nach dem gelobten Lande von jüdischem Stand-
punkt aus in deutscher Sprache erschienen. Darum
glaube ich, dass meine Schrift vielleicht eine Lücke
ausfüllen kann.
Ich habe die Verhältnisse in Palästina genau so
wiedergegeben, wie ich sie im Herbst 1895 sah, obwohl
— 6 —
ich die grossen Fortschritte der letzten zwei Jahre
wohl zu würdigen weiss; doch schien mir eine Rück-^
sichtnahme darauf der Schilderung die Naturtreue zu
rauben.
Allen unseren Freunden im heiligen Lande, die
uns damals in reichem Masse durch Liebenswürdigkeiten
jeder Art die Reise verschönerten, sei dafür an dieser
Stelle unser wärmster Dank nochmals dargebracht.
^»"
I.
idlich war mein Wunsch seiner Erfüllung
nahe, nach so langem Sehnen, nachdem ich
viele Jahre umsonst gehofft hatte, das Land
der Ahnen, das ehrwürdige Palästina sehen zu dürfen,
war es mir endlich gelungen die Schwierigkeiten zu
überwinden, die sich dieser Reise entgegensetzten. Im
Herbst 1895 erhielt ich den erbetenen Urlaub und die
Unterhandlungen, die ich mit einigen Zionsfreunden
gepflogen, schienen auch zum guten Resultat zu führen,
denn eine ganze Gesellschaft fand sich anscheinend
bereit, an der Reise teilzunehmen. Allein mannigfache
Hindemisse stellten sich dennoch wieder ein, ich musste
Woche um Woche die Abreise verschieben und endlich
kamen die Herbstfeiertage heran. So ungünstig die
Zeit indessen war, ich mochte nicht noch länger warten
und trat schliesslich am 24. September die Reise an,
nur von einem Freunde, dem Dr. L. b^leitet, da die
andern erwarteten Teilnehmer teils zurückgetreten waren,
1
— 2 —
teils ihrerseits die Reise schon begonnen hatten. Unsere
Ausrüstung war die denkbar einfachste, obwohl man
uns mit allerlei guten Ratschlagen, erbetenen und un-
erbetenen, überhäuft hatte. War man doch in Berlin,
selbst in den Kreisen, die es hätten wissen müssen,
noch der Ansicht, dass eine Reise nach Palästina ein
ordentliches Wagstück sei, in ein Land, wo es keine
Hotels und keine Eisenbahnen, ja kaum Wege gäbe,
wo die wilden Beduinen hausen, das Klima gefährlich
und kein rettender Arzt zur Hand sei. Vielerlei
Correspondenzen mit in Palästina ansässigen Juden
hatten mich indess schon lange zu der Ueberzeugung
gebracht, dass derartige Fabeln eben Reste alten Vor-
urteils sind und wir nahmen daher nur mit, was der
Reisende bei einer sechswöchentlichen Reise in Europa
ebenfalls mit sich führt. Nicht einmal Waffen hielten
wir für nötig und wir haben weder diese noch etwas
anderes vermisst. Eine Reiseapotheke, die wir uns
schliesslich von einem befreundeten Arzte aufdrängen
Hessen, brachten wir fast unbenutzt (nur einige
Rhabarberpillen haben wir gebraucht) wieder nach
ELause und das Insektenpulver anzuwenden, wovon wir
einen grossen Vorrat gekauft hatten, bot sich nur einmal
Gelegenheit und zwar in Neapel. Nicht einmal diese
berechtigte Eigentümlichkeit von Ganz- und Halbasien
hat in den jüdischen Kolonien Palästinas der Kultur
i
— 3 —
I
Stand gehalten. Dagegen leistete uns eine Reihe von
Empfehlungsbriefen, in erster Linie ein sehr liebens-
-würdiges Schreiben des Herrn Elie Scheid, Directors
der unter dem bekannten Protektor stehenden Kolonien,
:sehr gute Dienste und wir statten dem Herrn Scheid
nochmals unseren besten Dank dafür ab.
Am Dienstag, den 24. September reiste ich über
Breslau, wo ich einen Ta^ bleiben wollte, nach Wien,
mein Gefährte Dr. L. sollte mir am nächsten Morgen
folgen und in Breslau wollten wir uns treffen. Indessen
die Reise begann gleich mit einem kleinen humoristischen
Abenteuer. Als ich in Breslau zur verabredeten Zeit
^ur Bahn kam, war Dr. L. nicht angekommen, ich
musste einen Zug auslassen, telegraphierte nach Berlin
«nd erhielt die Antwort, dass Dr. L. zur richtigen
Zeit abgereist war. Das war merkwürdig, aber es
Hess sich nichts weiter trotz vielfachen Depeschierens
ermitteln und ich setzte Abends meine Reise nach
Wien fort, in der Hoffnung, ihn dort zu treffen. In-
dessen schon in Oderberg, klärte sich die Sache auf,
denn dort stand Dr. L. wohlgemut auf dem Perron
mich zu erwarten und erzählte mir schmunzelnd, dass
«er so gut in der Bahn geschlafen, dass er den Aufent-
halt des Zuges in Breslau gar nicht gemerkt hatte.
So konnte es denn vereint weiter gehen und dies war
besonders für Dr. L. gut, denn im Misstrauen gegen
1*
— 4 —
seine Fähigkeit mit Geld umzugehen und in über-
triebenem Vertrauen auf meine Kassierertalente hatte
er mir seine ganze Boisekasse anvertraut und wäre so-
beinahe in peinliche Verlegenheit gekommen.
Von Wien ging es ohne Aufenthalt mit der Süd-
bahn weiter nach Triest, wir hatten kaum soviel Zeit,
mit einem Fiaker, der aber den Ruf der Wiener Schnell-
fahrer rechtfertigte, von der Nord- zur Slldbahn zu rasen
und in den Zug zu springen. Die Strecke ist zu be-
kannt, als dass ich sie beschreiben dürfte, für uns Nord-
deutsche indessen, die nur wenig Gebirge vorher
gesehen hatten und dann auch nur die niedrigen
Berge der norddeutschen Ebene, wie den Harz etc., bot
die Fahrt über den Semmering und durch Steiermark
des Interessanten viel, weniger freilich die Gesellschaft
in unserem Coup6. Wir hatten Gelegenheit bei den
mitreisenden österreichischen Glaubensgenossen, jenen
unverbesserlichen Optimismus wiederzufinden, dessen
Kurzsichtigkeit schon so viel Schaden angerichtet hat.
Gerade damals begannen die Antisemiten Wiens ihren
Siegeslauf, aber die Juden, die wir sprachen, nahmen
die Sache nicht ernst und meinten, keine Regierung
würde eine Herrschaft der Antisemiten dulden. Die
Entwickelung hat ihnen Unrecht gegeben und auch eine
entschlossene Gegenagitation der österreichischen Juden
hätte den Sieg der Antisemiten vielleicht nicht auf-
— 5 —
Tialten können, aber jene hätten dann wenigstens die
Ehre gerettet!
Einen wunderbar schönen Anblick hatten wir gegen
Ende der Eisenbahnfahrt, als wir uns Abends Triest
näherten und schon vorher am Meeresufer entlang
fahrend die See vom prachtvollsten Mondenschein be-
leuchtet unübersehbar sich erstrecken sahen, während
die Schlösser und Häuser am Ufer sich klar von der
Meeresfläche abhoben. In Triest hatten wir einige
Stunden Aufenthalt, um dann um 1 Uhr Nachts auf
•den Dampfer zu gehen und uns nach Venedig einzu-
schiffen. Das Wenige, was wir von der lebhaften öster-
reichischen Seestadt sahen, gefiel uns recht gut und
wir bedauerten hier, wie auf der weiteren Reise so
oft, dass die karg bemessene Zeit meines Urlaubs so
jzur Eile drängte.
Das adriatische Meer war ganz ruhig und die
TJeberfahrt nach Venedig ein rechter Genuss, entzückend
auch die Ankunft in der alten „Königin des Meeres"
zu früher Morgenstunde. Am Marcoplatz ging der
Dampfer vor Anker, wir stiegen in eine Barke und
Hessen uns zur Bahn rudern und da wir zwei Stunden
Zeit hatten, so mieteten wir die Barke gleich, um auf
-den Kanälen der berühmten Seestadt eine kleine Eund-
fahrt zu halten, die sich reichlich lohnte. Um 9 Uhr
ging es schon weiter, es war am Tage vor Jomkippur
— 6 —
und wir mussten noch bis Bologna kommen, wo wir
an diesem Feste zu bleiben gedachten, sonst hätten
wir Venedig nicht so schnell wieder verlassen. Seit
zwei Tagen hatten wir zudem nichts weiter genossen,,
als was wir mitgenommen und ausserdem Brot und
Getränke. In Bologna sollte nun auch unser Magen
sein Recht erhalten und als wir um 3 Uhr anlangten,
schickten wir unser Gepäck in das Hotel, wir selbst
begannen die Suche nach dem koscheren Eestaurant.
Dies war aber keine leichte Sache, wir verstanden
beide kein Italienisch und die guten Bologneser kein
Deutsch oder Französisch. Endlich hatten wir uns doch
nach der via Battisasso durchgefragt, wo das in Kauf-
manns Kalender genannte Restaurant Cacciatore sein^
sollte. Es fand sich wirklich in einem versteckten
Winkel, aber o weh! die Wirtin, ihre Tochter, das-
Zimmermädchen, sie verstanden alle nur Italienisch.
Nun begann eine amüsante Unterhaltung, alle drei
Damen redeten mit dem grössten Eifer auf ims ein^
nur verstanden wir leider nichts, während iene doch
begriffen, dass wir essen wollten, übrigens vergnügten wir
alle uns sehr gut dabei. Schliesslich stellte sich heraus,
dass die Mittagszeit vorbei und wir erst wieder Abends-
etwas erhalten konnten. Das war schlimm, aber es
half nichts, wir redeten unserem brummenden Magen
mit Kaffe und Kuchen gut zu und benutzten die freie
Zeit, um in den Strassen Bolognas zu bummeln. Die
Stadt gefiel uns ausserordentlich und die alten Gebäude
gaben eine schöne Vorstellung von einer mittelalter-
lichen italienischen Stadt, in der die Kämpfe zwischen
Weifen und Gibellinen tobten und die stolzen Adeligen von
ihren burgartigen Palästen aus sich auf den Plätzen und
in den Strassen der Stadt Gefechte lieferten. Auch zwei
schiefe Thürme an der Porta di Ravenna, von denen
der eine sehr hoch ist, gehören zu den Sehenswürdig-
keiten Bolognas. Endlich versöhnte das Abendessen,
das wir um 4V2 Uhr in dem Restaurant Cacciatore
erhielten, unsem Magen wieder mit der Reise und
nachdem wir uns zu dem 24 stündigen Fasten gestärkt
hatten, begaben wir uns um öVa Uhr in die Synagoge.
In der Jomkippumacht hatten wir ein seltsames Aben-
teuer. Des Fasttages halber konnten wir nichts unter-
nehmen und hatten daher schon zeitig unsere Betten
aufgesucht. Nachts weckt mich Dr. L.: „Bambus,
es regnet." „Meinethalben, lassen Sie mich schlafen,"
erwiderte ich verdriesslich im Schlafe gestört zu werden,
drehe mich um und will weiter schlafen. Allein Dr.
L. giebt keine Ruhe und erklärt mir, dass es im
Zimmer regnen müsse. Das war nun sehr merkwürdig,
denn das dreistöckige Hotel machte einen sehr guten
Eindruck, wir wohnten im zweiten Stock und es war
gar nicht verständlich, dass es soweit durchregnen
— 8 —
sollte. Ich verbitte mir daher, dass mich Dr. L. immer
im Schlaf stört, er bleibt dabei, dass sein Bett schon
ganz nass sei. Gerade will ich grob werden, da fällt
mir ein Wassertropfen auf die Nase und bleibt nicht
der einzige. Nun half es nichts, ich musste wohl auch
an den Regen glauben, der schnell so heftig fiel, dass
die Betten vollständig durchnässt wurden. Des Jom-
kippur halber konnten wir kein Licht machen, auch nicht
nach der Bedienung klingeln, wir mussten also in stock-
finsterer Nacht aus den Betten und uns ein trockenes
Eckchen im Zimmer suchen, was uns erst nach vieler
Mühe gelang. Wer beschreibt aber unser Erstaunen,
als wir nach der so unangenehm verbrachten Nacht
am Morgen die ganze Stube voll Wasser und unsere
Anzüge, Kojffer, etc. total durchnässt finden, aber beim
Heraussehen aus dem Fenster die Strasse ganz trocken
sehen. Das muss ein Spezialregen in unserem Hotel
gewesen sein! Die merkwürdige Geschichte fand endlich
morgens eine scherzhafte Aufklärung, über uns war
die Waschküche, irgend eine dienende Donna hatte
dort den Wasserhahn offen gelassen und uns so das
zweifelhafte Vergnügen eines Regens speziell für uns
verschafft. Es bedurfte einer ganzen Kompagnie
Scheuerfrauen, die in unser Zimmer drangen und mit
Eimern das Wasser heraustrugen, um den Schaden
einigermassen wieder gut zu machen. Die kleine Epi-
— 9 —
sode trug gerade nicht dazu bei, durchnässt, wie wir
waren, unsere Stimmung zu verbessern, desto mehr aber
liaben wir später über unseren Spezialregen in Bologna
gelacht.
Viel weniger als die schöne Stadt gefiel uns die
jödische Gemeinde derselben und das religiöse Leben
der dortigen Juden. Es war ein eigentümliches Miss-
geschick, dass wir den höchsten Festtag des Jahres in
einer Umgebung verleben mussten, in der religiöse
Weihe und Andacht nicht aufkommen konnten. Wir
waren natürlich zu Kol Nidre in Schul gegangen, pünkt-
lich um 5Vj Uhr, wie man uns gesagt hatte, aber wir
fanden noch nicht einmal Minjan dort vor. Die Syna-
goge selbst, ein kleiner schmuckloser Saal, hatte nur
72 Sitzplätze, die durch einige hineingestellte Stühle
€tc. auf etwa 100 erweitert werden konnten. Da die
Gemeinde 820 Seelen zählt und dies das einzige Gottes-
haus ist, muss das Bedürfnis nicht gross sein. Wir
sahen aber bald, dass selbst der kleine Raum noch viel
zu gross sei für die Beter, denn nachdem um 6V2 Uhr,
also eine Stunde nach dem offiziellen Beginn, endlich
Miiyan zusammen gekommen war, natürlich uns zwei
Fremde mitgerechnet, füllte sich die Synagoge nur
mühsam nach und nach und erst kurz vor Schluss des
Gottesdienstes war sie einigermassen voll. Natürlich
erregten wir einiges Aufsehen, aber leider konnten wir
— 10 —
UDS nicht verständigen, denn wie schon erwähnt, ver-
standen wir beide nicht italienisch, die anwesenden
Gemeindemitglieder aber keine andere Sprache, sodass
wir darauf angewiesen waren, mit dem Rabbino Maggiore,
der wenige Brocken Französisch verstand, einige ünter-
haltungsversuche zu machen. Ein Versuch, den Dr. L.
machte, sich mit diesem geistigen Führer der Bologneser
Juden in hebräischer Sprache zu unterhalten, scheiterte
kläglich. Man bat uns am Morgen pünktlich in der
Synagoge zu sein und wir kamen dieser Bitte nach,
aber leider fast allein, erst um 8 Uhr kam der Ober-
rabbiner und dann allmählich auch Minjan zusammen.
Aber welch eine Andacht war dies überhaupt! während
Rabbiner, Vorbeter und zwei Assistenten die Gebete
sprachen, ging die Unterhaltung hin und her, jeden
Augenblick standen die Leute auf, machten sich gegen-
seitig Besuche, redeten den Oberrabbiner oder den
Vorsteher an und kein Mensch kümmerte sich um Ord-
nung. Nicht einmal während der Predigt schwieg das
Geplauder und ich habe Leute beobachtet, die während
der ganzen Zeit ihrer Anwesenheit nicht ein Wort ge-
betet haben. Freilich waren die meisten nicht lange
in der Synagoge, zu jeder Mahlzeit begann das Gehen
und Kommen von neuem und es war buchstäblich kein
Mensch den vollen Tag unausgesetzt im Gebetsraum.
Und die Toilette der Leute gar! In Werktagskleidern,
r
— 11 —
beschmutzt, bestaubt, mit der brennenden Cigarette im*
Munde, dem Stöckchen in der Hand, so kamen sie am
Jomkippur in die Synagoge. Kaum, dass sie in der
Vorhalle die Cigaretten aus der Hand legten, die
Stöcke aber nahmen sie mit hinein. Der Vorbeter
konnte nicht leinen, der Oberrabbiner las ihm aus einem
punktirten Texte in seinem Buche vor und jener sprach
nach, aber ohne dass jemand wusste, an welcher Stelle-
der Thorarolle das gelesene stand. Kurz es war eine*
Travestie des Gottesdienstes, wie ich sie noch nicht
gesehen hatte und nicht wieder zu sehen hoffe.
Angewidert von diesem Benehmen und bedauernd,
dass wir den hohen Festtag in solcher Umgebung ver-^
bringen mussten, verliessen wir um 6V4 Uhr nach Schlus^
des Gottesdienstes die Synagoge, um in aller Eile in
das Hotel zu stürmen und direkt auf die Bahn zu
fahren. Es war die höchste Zeit, denn um 7 Uhr ging
der Zug und wir konnten als einzige Erfrischung nach
dem Fasten nur rasch eine Tasse schwarzen Kaffes^
herunterstürzen. Unterwegs fanden wir noch einen
Moment Zeit etwas Brot zu kaufen, das wir dann im-.
Coup6 verzehrten.
Im Allgemeinen fanden wir die Italiener stets^
liebenswürdig xmd zuvorkommend, und da wir in der
dritten Klasse fuhren, es iu Italien aber keine vierte-
giebt, so kamen wir ziemlich viel auch mit den imterea
— 12 —
Schichten in Berührung, Wir können nur sagen, dass
dieselben sich sehr nett und gebildet benehmen» Frei-
lich kamen auch Ausnahmefälle vor, z. B. auf dieser
Nachtreise sass ein entlassener Soldat im Coup6, der
mit seinenErlebnissen und Sprachkenntnissen renommine,
in Massauah gekämpft haben wollte und auf die ^porci
tedesci", die „deutschen Schweine" schimpfte. Als ihn
nun aber Dr. L. erst französisch, dann englisch,
spanisch, schliesslich arabisch ansprach und er nicht
darauf zu antworten wusste, hatten wir die Lacher auf
unserer Seite und dem Renommisten wurde die Sache
dann ungemütlich, so dass er in ein anderes Coupö
stieg. Dagegen fuhr ebenfalls mit uns ein freundlicher
Älterer Herr, mit dem wir uns ganz gut unterhalten
konnten, er hatte einmal lateinisch gelernt und suchte
nun diese seine alten Kenntnisse hervor, während auch
wir die klassische Sprache der alten Römer radebrechten.
So ging die Sache ganz gut, bis wir bei Tagesanbruch so-
viel zu sehen bekamen, dass wir die Gespräche vergassen.
Wir fuhren jetzt durch Unteritalien und die weissen
Städte, die sich so scharf von der Umgebung abhoben,
die wie eingestaubt aussehenden Olivenwaldungen mit
ihren graugrünen Blättern, das nahe adriatische Meer, an
dessen Küste wir fuhren, und last not least, die fremd-
artigen Menschentypen, alles fesselte unser Interesse.
<3egen Abend kamen wir in Brindisi an und eilten
— 13 —
sofort nach dem Hafen, wo der grosse englische Dampfer^
mit dem wir fahren wollten, schon lag. Hier erhielten
wir die betrübende Nachricht, dass kein Platz mehr
sei, und dass wir, es war Sonntag, bis Mittwoch warten
mtissten. Dann ging wieder ein Dampfer und zwar
einer des österreichischen Loyd. Was half unser Murren?
wir mussten uns den Aufschub gefallen lassen und
versuchten, die Sehenswürdigkeiten von Brindisi in
Augenschein zu nehmen. Allein deren gab es keine,
es hätten denn die Massen Fliegen sein müssen, denn
soviel dieses lästigen Geschmeisses hatten wir noch
nicht gesehen. Brindisi ist eine schmutzige Stadt, der
Hafen war, trotz einiger Ozeandampfer ziemlich tot,
eine jüdische Gemeinde giebt es nicht, so dass uns
jeder Anknüpfungspunkt fehlte und wir fassten daher
raschen Entschluss. Noch drei Tage unsere Speisen und
Getränke, ja eigentlich uns selbst gegen die Angriffe
der Fliegen verteidigen, wäre zu schwer gewesen, wir
setzten uns Montag früh auf die Bahn und fort ging
es quer durch Italien nach Neapel.
Die Eisenbahnstrecke führt durch wenig bewohnte*
Land, zuerst nach Taranto, dessen entzückende Lage
sich unserem Gedächtnisse fest einprägte, dann nach
dem alten Samnium, dessen von Schluchten durch-
schnittenes Terrain mit zahllosen Bergen und Hügeln
einen sehr interessanten Anblick bot. Leider liegt hier
— 14 —
fast alles wüst, die Hirten weiden hier ihre Schafe
mit der Flinte auf dem Rücken, während weder Wälder
noch Dörfer oder Getreidefelder zu sehen sind. Nur
an den Bergen hängen die Gebirgsstädtchen, ein über-
aus malerischer Anblick. Oft sind in diesen kleinen
•Städten auch die Ruinen alter Burgen zu sehen, fast
alle sind noch heute mit Mauern umgeben. Das durch-
schnittene Terrain macht viele Tunnels nötig auch
halb offene Galerien, einmal geht sogar der Zug in
einem Tunnel quer durch den Berg, auf dem das
Städtchen Picerno liegt. An interessanter Reisege-
sellschaft fehlte es uns nicht und wir konnten allerlei
Volksstudien machen. Einige Handwerker, die uns
begleiteten, sangen uns die Garibaldihymne, worauf
ihnen Dr. L. zum Dank das schöne Lied mit allen
Variationen lehrte:
Liebe Tante, sei so gut,
Schenke mir 'nen Cylinderhut etc.
Die eifrigen Schüler glaubten natürlich die deutsche
Nationalhymne zu lernen. Mit einem anderen Reise-
genossen, einem gescheuten, jungen Manne von 17 Jahren,
Gymnasiasten in Metapont, schlössen wir gar Duz-
brüderschaft und als wir uns verabschiedeten, trennten
wir uns nach süditalienischer Sitte mit heralichen Küssen
und Umarmungen. Ob wir ihn wohl einmal wieder-
tsehen werden?
— 15 —
War schon die bisherige Fahrt landschaftlich sehr
anregend gewesen, so war es der folgende Teil noch
mehr, wir kamen nämlich jetzt an den vielgepriesenen
Golf von Salemo und dann an den Meerbusen von
Neapel. Diese Gegend ist wahrlich eine Perle der
Erde und von allen den schönen Landschaften, die wir
auf der weiten Reise gesehen haben, die bei weitem
schönste, den See von Tiberias allein ausgenommen.
Links von der Bahn die mit grossen und kleinen Schiffen,
mit Ozeandampfern wie mit Segelboten und Ruderkähnen
belebte See, rechts die wundervoll bewaldeten Berge,
dann der Vesuv mit der Rauchsäule über dem Gipfel, durch
die von Zeit zu Zeit Flammen leuchteten, rings die
blühenden Städte und Dörfer und die ganze Gegend
tibersäet mit einer M enge von Villen, die aus dem Grün
der Wälder hervorleuchten, alles in derStinmiung des eben
dämmernden Herbstabends, es war ein zauberhafter An-
blick, den wir in derStunde vor der Einfahrt in denBahnhof
von Neapel genossen. „Neapel sehen und dann sterben!"
Diesen Spruch lernten wir auf unserer Fahrt begreifen !
Naturgemäss suchten wir überall zuerst unsere
Glaubensgenossen auf und so wollten wir es auch in
Neapel thun. Obschon es 9 Uhr Abends war, nahmen
wir einen Fiaker an der Bahn und fuhren nach der
Strada Capeila vecchia, wo nach Kaufmanns Kalender
6in koscheres Restaurant sein und ein Rabbiner Pro-
— 16 —
fessor Cameo wohnen sollte. Aber wir wurden arg-
enttäuscht, einen Professor Cameo kannte man dort gar
nicht, ein jüdisches Restaurant auch nicht und schou
der Begriff Jude schien unbekannt. Spät war es und
lange suchen ging nicht an, wir nahmen daher zunächst
ein Logis in einem Hotel zweiten Ranges und fanden
hier Gelegenheit das mitgenommene Zacherlin zu ver-
wenden. Frtth am Morgen begann die Suche nach den.
Juden wieder, deren es doch Tausend in Neapel geben
sollte. Der Wohnungsanzeiger, der in seinem Schluss-
teile ähnlich wie bei uns die Confessionen aufzählt, weiss
nichts von Juden, in dem Cafe Gambrinus, wo es deutsch
redende Kellner gab, konnte man uns nichts weiter
raten, als uns an die Polizei zu wenden und wir machten,
denn auch diesen Versuch. Dort empfing man uns
sehr liebenswürdig, war gleich zur Auskunft bereit und
schrieb uns die Adi-esse der Synagoge auf. Da diese
aber in einem argen Winkel versteckt sein sollte,
empfahl es sich, gleich einen Führer zu nehmen, mit
dessen Hilfe wir auch schliesslich hingelangten. In-
dessen die Mühe war umsonst, die angebliche Synagoge
war die griechisch-orthodoxe Kirche« Nun ging das-
Fragen wieder los und schliesslich begann die Suche
mit unserem Führer aufs Neue. Abermals umsonst,
denn nun waren wir in die armenische Kirche geraten.
Nochmals durch Gassen und Qässchen und endlich iu
— 17 —
einem Hinterhause wieder eine christliche Kirche. Jetzt
zurück zur Polizei: „wir kennen keine Juden weiter als
die genannten!?" dasselbe auf dem Hauptbureau der
Polizei, an der Post ebenso mid wir mussten endlich das
Forschen aufgeben. Den Rest des Tages benutzten wir zu
einem Besuch in dem reichen Museum von Neapel und zu
einem Ausflug nach San Elmo, wobei uns leider das
schlechte Wetter sehr störte. Endlich Abends beim
zwecklosen Herumschlendern in den Strassen finden wir
ein Firmenschild mit der Aufschrift: „Baruch Fratelli."
Hurrah, endlich Juden! Es waren auch solche, der
Inhaber, der zeitweilig in Hamburg gelebt hatte, sprach
sogar noch etwas Deutsch und gut Französisch, er er-
zählte uns, dass in Neapel einige hundert Juden leben,
die aber alles jüdische soweit abgestreift haben, dass
das Volk sie gar nicht mehr als Juden kennt.
Neapel erscheint dem Nordländer schon äusserst
fremdartig, die Leute leben auf der Strasse, dort essen
sie, dort schlafen sie, dort arbeiten sie sogar, wenn sie
dies überhaupt für nötig finden. Abgesehen von den
wenigen schönen Hauptstrassen macht Neapel einen
sehr schmutzigen Eindruck, in den kleinen Neben-
gässchen läuft allerlei Vieh und Geflügel so frei auf
der Strasse umher, wie bei uns auf dem Hofe, früh-
morgens sahen wir, wie der Hirt durch die Strassen
zog, vor manchen Häusern stehen bleibend und schellend.
— 18 —
worauf dann KQhe resp. Ziegen herausgefOhrt wurden,
mit denen er weiter auf die Weide zog. Abends hatten
wir wieder das Schauspiel den Hirten seine Herde stück-
weis abliefern zu sehen. Gelegentlich kommt wohl
auch ein Milchmann mit einer Kuh, die er in der
Strasse melkt, um den harrenden Leuten sofort die
Milch in ihre Töpfe zu füllen.
Auch in Bezug auf die Bettelei ist Neapel obenan.
In keiner andern Stadt sind wir so oft und so unver-
schämt angebettelt worden und nirgends, selbst im
Orient nicht, ist das Bakschischgeschrei so lästig, wie
in Neapel. Uebertroffen wird diese Belästigung nur
noch von einer anderen, nämlich von der Hartnäckigkeit,
mit der die Fiakerkutscher das Publikum zum Fahren
einladen. Wiederholt ist solch Kutscher 5 Minuten
lang neben uns hergefahren uns immer von neuem zum
Einsteigen einzuladen. Die Aufdringlichkeit der Neapoli-
taner Kutscher hat nur noch ein Seitenstück, das sind
die Kairenser Stiefelputzer.
Es ist selbstverständlich, dass nach so kurzem
Aufenthalt man nicht an eine eingehende Beschreibung
denken kann, haftet doch auch der Blick nur an dem
äusserlichsten und nur dieses soll wiedergegeben werden.
Am Montag waren wir angekommen, Mittwoch
früh verliessen wir Neapel wieder um nach rascher
Beise durch das schöne Italien Abends in Brindisi ein-
— 19 —
zutreffen, wo unser Dampfer schon lag. Da wir uns
diesmal die Plätze telegi'aphisch gesichert hätten, so
w^aren nicht mehr viele Formalitäten zu erledigen, wir
tonnten uns bald auf das Schiflf begeben und fort ging
-es, dem ersehnten Ziele zu.
II.
Die Seefahrt ist manchmal ein Genuss, manchmal
auch nicht! Das wurden wir gewahr, als sich unser
Dampfer in Bewegung setzte, und ich rate jedem, der
das Mittelmeer zu durchfahren beabsichtigt, wenn es
ihm irgend möglich ist, sich einen grossen Dampfer,
am besten einen der Indien- oder Australienfahrer aus-
zusuchen, es sei denn, er wäre völlig seefest. Wir
ifvaren nicht so klug gewesen, unser Dampfer war ein
kleines Schiff des österreichischen Lloyd von älterer
Bauart und nur sehr massig und ohne jede Eleganz
«eingerichtet. Die „Thalia" rollte und stampfte trotz
der ruhigen See fürchterlich und wir litten daher stark
xmter der Seekrankheit. Während Dr. L. schon den
zweiten Tag wieder munter war, konnte ich mich
während der ganzen Fahrt nicht erholen, trotzdem das
Wetter prachtvoll und das Meer spiegelglatt war, bis
-wir an das Land kamen. So hatte ich auch wenig
von der Reisegesellschaft, obwohl manche interessante
Leute darunter waren, so ein Lazaristenpater aus Köln,
— 20 —
der nach dem Orient ging, die dortigen Klöster seines
Ordens zu revidieren, und mit Dr. L. religiöse Ge-
spräche anknüpfte, auch natürlich vergebliche Be-
kehrungsversuche machte. Dann reiste ein jüdisches
Ehepaar mit, das geflissentlich vermied, sich als Juden
zu erkennen zu geben und mit offenbarem Staunen sah,
dass zwei gebildete Europäer noch so »veraltet" sein
konnten, die Speisegesetze sogar auf dem Schiffe zu
beobachten.
Am Mittwoch Abend waren wir auf das Schiff
gegangen, Sonnabend gegen Mittag näherten wir uns
schon der ägyptischen Küste, was man lange, ehe man
sie sah, an der grünen Farbe des Meeres erkennen
konnte. Unser Dampfer musste in Alexandrien zwei
Tage Station machen, diesen Aufenthalt wollten wir zu
einer Fahrt nach den Pyramiden ausnützen. Nach-
mittags kam Alexandrien in Sicht; die erste Stadt des
Orients, die wir betreten sollten, lag hingestreckt an
dem niedrigen, sandigen Ufer mit seinem grossen, reich
belebten Hafen resp. Rhede, in dem wir Schiffe aller
Nationen, darunter auch gewaltige Panzerschiffe er-
blicken konnten. Sobald der Sanitätsoffizier unser
Schiff freigegeben, begann nun das oft beschriebene
orientalische Gewühl. Alexandrien ist ja eine Grenz-
stadt des Orients und Occidents, das sah man sofort
bei der ersten Annälierung, und so war denn auch die
— 21 —
Menschenmenge, die sich auf unser Schiff stürzte, aus
•den mannigfaltigsten Elementen zusammengesetzt. Echte
Orientalen in langen, bunten, vielfach geflickten und
noch öfter zerrissenen Hemden, dazv^ischen Europäer
nach der neuesten Mode von Paris gekleidet, bald mit
dem Fez, der roten Filzmütze, bald im schönen Gegen-
satz dazu mit dem spiegelblanken Cylinder auf dem
Kopfe, kohlschwarze Neger, braune und gelbe Aegypter,
sonnenverbrannte Europäer, die schon halb oder fast
ganz orientalisiert waren, und andere neu Angekommene,
deren helle Farbe sich noch ebenso auffällig in dem
Gewühl geltend machte, wie ihre weissen Tropenanzüge.
Noch eigentümlicher ist natürlich der Gegensatz
bei der Damenwelt. Neben der alten Negerin, die ihrer
Hässlichkeit halber nicht verschleiert zu gehen braucht,
•die Araberin mit dem eigentümlichen Schleier vor dem
Gesichte, der die Augen frei lässt, in den mannig-
faltigsten meist dunkelen Farben gekleidet, die einge-
borene Christin, die unverschleiert geht und die Pariser
Mode mit wenig Geschick zu copieren bestrebt ist und
die Europäerin der verschiedenen Länder, die noch
die Mode ihres Heimatlandes befolgt. Es ist ein bunter,
aber sehr interessanter Mischmasch, den das Sprachen-
gewirr noch babylonischer macht.
Zahllose Lastträger in allen Farben, die sich auf
unser Gepäck stürzen, und daneben wüi*dig drein-
— 22 —
schauende europäische Hoteldiener, die die Reisenden
anrufen. Mit Mühe erwehren wir uns der aJlzugrossen
Zudringlichkeit und übergeben unser Gepäck einem
Diener aus dem Hotel des Voyageurs. Die Douane in?
der ägyptischen Hafenstadt, offenbar von englischen
Beamten organisiert, zeichnet sich durch ihre Akkuratesse
ebenso wie durch die Höflichkeit ihrer Beamten vorteil^
haft vor allen, die wir auf der Reise kennen gelernt
haben, aus. Da man an unserer Sprache merkte, das»
wir Deutsche seien, wurde sofort ein deutschsprechender
Beamter gerufen und sagte uns auf das liebenswürdigste
Bescheid. Auffallenderweise empfahl er uns eindringlich
auf der Douane kein Bakschisch zu geben. Alle Be-
amte werden ausreichend bezahlt, Bakschisch durchaus
nicht geduldet.
Nachdem wir uns auf dem Gange nach dem Hotel
einen Teil der Stadt angesehen und uns ein wenig"
restauriert hatten, dabei schon diverse Ueberfälle von
Stiefelputzern hatten abschlagen müssen, gingen wir zu
Mouze Schabbes in die von Baron Menasche erbaute
grosse Synagoge. Auch hier derselbe babylonische
Wirrwarr, neben dem aus Moskau 1891 ausgewiesenen
Russen der vor der Tyrannei des Scherifs von Marokko-
geflüchtete Marokkaner, in dessen Siddur ein Jude aus
Temen mit hineinsieht. Rechts von uns steht ein junger
Mann, der, wie wir bald von ihm hörten, aus Tunis-
eingewandert ist, links ein Sefardi aus Konstanti-
nopel.
So verschieden, wie die Typen der Personen, war
auch ihre Kleidung, ein buntes Gemisch von Trachten:
neben dem glatten Schwarz des Europäers das bunte
Hemd und der Turban des Orientalen. Aber gerade
diese Verseliiedenheit des Aeusseren hob den Eindruck
der Einheit, so viele aus so vielen Weltgegenden durch
mancherlei Geschick zusamraengefllhrte Juden sprachen
hier dieselben Gebete in der gleichen Sprache mit
gleicher Andacht. So führt uns unsere Religion, wohin
wir verschlagen werden, immer wieder zusammen und
diejenigen, die unsere heilige Sprache aus dem Gottes-
dienst verdrängen wollen, ihnen wäre ein solcher er-
hebender Anblick zu wünschen, sie sollten einmal
sehen, wie sich die jüdischen Beter ans allen Weltenden
zusammenfinden können, weil ihnen allen noch die
hebräische Sprache die heilige ist und sie an ihr eine
gemeinsame Grundform fUr den jüdischen Gottesdienst
überall besitzen. Leider ist es nur um den Unterricht
unserer Glaubensgenossen in Alexandrien noch schlecht
bestellt und hier könnten die Juden Westeuropas
helfend eingreifen. Äeusserst eigentümlich ist, wie sich
in Alexandrien Orient und Occident berühren, wie sich
oft unmittelbar neben den europäisch gebauten grossen
öffentlichen Gebäuden echt ägyptische Lehmhütten
i
— 24: —
finden, während die Palmen alle öffentlichen Plätze
schmücken.
Der Tmiesier, ein Herr Zagdouni, nahm sich unser
mit grösster Liebenswürdigkeit an und machte für den
Rest des Abends unseren Führer. Durch ihn fanden
wir auch ein koscheres Eestaurant, wo wir unseren
von der schmalen Kost auf dem Schiff ausgehungerten
Magen wieder zufriedenstellen konnten. In diesem
Restaurant tranken wir auch Wein von Rischon Lezion,
der hier, wo er minimalen Zoll kostet, sehr billig ist.
Ungleich orientalischer nach allen Richtungen hin
ist Kairo, die Hauptstadt Aegyptens, wohin uns am
nächsten Morgen der Schnellzug führte. Freilich ist
auch hier der europäische Einfluss vor allem durch die
Engländer sehr stark und einige Viertel sind ebenfalls
mit europäischen Gebäuden reich versehen. Auch die
Hotels sind vollkommen für die Europäer eingerichtet,
aber auf der Strasse tritt er doch gegenüber der grossen
üeberzahl der Orientalen zurück und in den meisten
Stadtvierteln ist der westliche Einfluss noch sehr gering.
Wir hatten das Glück, in dem Dolmetscher und Fremden-
führer des deutschen Hotel Korff (dasselbe war in der Ber-
liner Gewerbeausstellung, Abteilung Kairo, ebenfalls und
sehr naturgetreu abgebildet) Herrn Abr. Bemard, einen
eingewanderten, aber sehr sprach- und ortskundigen
rumänischen Juden, einen Führer zu erhalten, der mit
— 25 —
Verständnis auf unsere Intentionen einging und uns an
Stelle der gewöhnlich aufgesuchten Museen und sonstigen
Sehenswürdigkeiten das orientalische Leben und be-
sonders das Leben unserer kairenser Glaubensgenossen
zeigte. Unter seiner kundigen Führung und der des Dr.
Diamant, eines russischen jüdischen Arztes, der inDeutsch-
land studiert hat, besuchten wir die Judenquartiere.
Die Juden der grossen Stadt zerfallen offiziell in
zwei Gruppen, „Juden" und „Karäer." Jede hat einen
Oberrabbiner „Chacham Baschi" an der Spitze, der
sie nach aussen hin vertritt und die niedere Gerichts-
barkeit ausübt. Die Talmudjuden oder Eabbaniten,
die olfiziell allein Juden genannt werden, zerfallen
wieder in zwei Gruppen: spagnolische Juden, mit denen
die alteingesessenen arabischen Juden und einige
Moghrebim völlig verschmolzen sind und Aschkenasim.
Die Sephardim, die spagnolischen Juden mit den
ihnen verwandten arabischen, bilden die Hauptmasse
der israelitischen Bevölkerung und ihre Zahl wurde uns
auf 20000 Seelen, freilich nur schätzungsweise ange-
geben. Ihre höchste Autorität ist der Chacham Baschi,
der bei der Regierung die offizielle Vertretung der
Juden führt und die gleiche Stellung besitzt wie der
Patriarch der Kopten oder der höchste Geistliche der
katholischen Kirche in Aegypten. Er hat seinen eigenen
Kavassen und ist von Staatswegen Würdenträger. Um
— 26 —
seine Stellung zu charakterisieren, sei folgende Ge-
schichte wiedergegeben, die uns erzählt wurde, deren
Richtigkeit wir freilich nicht verbürgen können. Bei
dem alljährlichen Durchstich des Nildammes, mit
welchem die für das Land so notwendige Ueber-
schwemmung während grosser Feste eingeleitet wird,
geschieht in einem Jahr die Arbeit durch die Muhame-
daner, wobei der oberste Mufti den ersten Spatenstich
thut und den Segen spricht, im zweiten Jahr durch
die Juden, deren Chacham ßaschi dann die Arbeit mit
einem Segensspruch beginnt. Die Sephardim bewohnen
ein eigenes Quartier, haben auch im Bazar ihre eigenen
Strassen und es giebt unter ihnen Handwerker aller
Art, Lastträger, Wasserträger etc., natürlich auch viele
Kaufleute. Die Mehrzahl ist verhältnismässig arm und
nur wenige Familien, darunter vor allem die Suarez
und Kattowi, haben es zu Reichtum gebracht. In ihrer
Lebensweise unterscheiden sich die Sephardim wenig
von den Muhamedanem, wie denn auch ihr Quartier
durchaus dem arabischen gleicht. Die Häuser sind
meist von Lehmziegeln erbaut, die Strassen auch die
des Bazars sehr eng und staubig. Kein Wunder daher,
dass die hygienischen Verhältnisse schlecht sind und
besonders Augenkrankheiten sehr häufig vorkommen.
Obwohl viel von den reichen Juden zur Verbesserung
der Zustände geschieht, Spitäler und Armenärzte unter-
en
— 27 —
halten werden, auch in den Schulen Bäder eingerichtet
sind, so kann doch eine durchgreifende Besserung durch
solche Mittel überhaupt nicht erzielt werden, denn nur
eine Hebung der sozialen Verhältnisse überhaupt und
ein Umbau des ganzen Viertels würde Abhülfe schaffen»
können.
Die Sephardim halten fast allesamt treu zum alt-
überlieferten Judentum, sie beobachten streng die-
Sabbathfeier und die anderen religionsgesetzlichen Vor-
schriften. In ihren Synagogen, deren sie einige zwanzig
besitzen, von denen wir nui* zwei besuchten, wird nach
allgemeinem sephardischen Ritus mit ganz unbedeutenden
lokalen Verschiedenheiten gebetet. Wir besuchten den
Chacham Baschi und hatten die Freude in ihm einen,
sehr gebildeten Mann mit ausgezeichneten Umgangs-
formen kennen zu lernen, der über die Vorgänge in der
Welt überhaupt und innerhalb der Judenheit im be-
sonderen sehr gut unterrichtet ist, Hamelitz und Haze-
firah liest und an allen allgemeinen Angelegenheiten
des Judentums den eifrigsten Anteil nimmt. Die Kolo-
nisation Palästinas durch Juden erfreut sich seiner
wärmsten Unterstützung, und er erzählte uns mit Genug-
thuung, dass es seinem thatkräftigen Eingreifen gelungea
sei, dem Weine der Kolonien vielfach Eingang zu ver-
schaffen. In der That hatten wir Gelegenheit in
mehreren Eestaurants in Kairo und Alexandrien dea
— 28 —
Wein aus Rischon lo Zion zu trinken. Der Chacham
Baschi versicherte uns auch för die Zukunft seines
wärmsten und wo sich Gelegenheit bieten werde, that-
kräftigsten Interesses für die Kolonisation Palästinas
durch Juden.
Bilden die Sephardim eine geschlossene und wohl-
organisierte Masse, so ist dies leider nicht der Fall
mit den Aschkenasim, deren Zahl man auf 150—200
Familien mit rund 1000 Seelen schätzt. Es sind dies
Yon einigen in den Dienst der Regierung angestellten
Beamten abgesehen, in den letzten zwei Jahrzehnten
eingewanderte russische und rumänische Juden, welche
wenig mit einander zusammenhalten. Sie haben zwar
einen Rabbiner aus Odessa berufen, dem sie aus frei-
willigen Beiträgen ein bescheidenes Gehalt zahlen,
allein das Gemeinde- und Vereinsleben kann wegen der
Uneinigkeit, die unter diesen verschiedenartigen Ele-
menten herrscht, nicht zur Blüte kommen. Die Asch-
kenasim wohnen über die ganze Stadt zerstreut, sie
verdienen ihr Brot als Kaufleute, Handwerker, Hau-
sierer, Dolmetscher, Fremdenführer etc. schlecht und
recht. Besonders sind viel Ciganettenfabrikanten, grosse
und kleine, unter ihnen und obwohl nicht viele der
aschkenasischen Juden reich sind, so ist doch auch
wenig eigentliche Armut vorhanden. Wir besuchten
'ein kleines Theater, in dem im russisch-jüdischen
— 29 —
Jargon von Dilettanten gespielt wurde und fanden m
demselben zwar das Stück selbst nur eine recht schwache
Hanswurstkomödie, aber voller sehr schöner und eigen-
artiger Melodien. Dem Publikum, offenbar auf einer
recht niedrigen Bildungsstufe, sagten die groben Spässe
des Hanswurst anscheinend sehr zu.
Die dritte Gruppe der Kairenser Juden, die-
Karaiten haben wieder ihr eigenes kleines Stadtviertel
und eigene Strassen im Bazar. Sie sind vollkommea
arabisiert, die Strassen in ihrem Viertel sind noch enger,
als im sephardischen Quartier und selbst die Reichen
unter ihnen leben äusserst bescheiden. Alle bedienen,
sich der arabischen Sprache, aber sie halten die
jüdischen Gesetze nach karaitischer Auffassung auf das
strengste und sind darin womöglich noch rigoroser als-
die Sephardim. Von der Einfachheit, die unter ihnea
herrscht, ist das beste Zeichen, dass selbst die Reichen
sich keine Dienstboten halten, nur der Chacham Baschl
hat einen Kavassen zum Zeichen seiner Würde, da
er dem Chacham Baschi der Sephardim im Range
gleichsteht. Die Karaiten treiben mancherlei Hand-
werk, besonders die Goldschmiedekunst und es ist inter-^
essant im Bazar die Strasse der karaitischen Gold--
schmiede zu sehen. Da sitzt Laden für Laden ia
jedem einzelnen die ganze Familie bei der Arbeit und
fertigt vor den Augen des Publikums die kostbai-stea
\
V
— 30 —
■Geschmeide an. Wir besuchten auch den Chacham
Baschi der Karaiten und lernten in ihm einen sehr
intelligenten Mann kennen, für den schon sein Aeusseres
«ine sehr günstige Meinung erzeugte. Eine echte
Patriarchengestalt mit langem gi-auen Bart und hoher
Figur wusste er auch m seinem Wesen bei aller Freund-
lichkeit die rechte Wtlrde festzuhalten. Er nahm unseren
Besuch sehr hoch auf und betonte immer wieder „Kol
Israel achenu", gab uns bereitwillig über allerlei Fragen
-des karaitischen Bitus Aufklärung und erklärte uns,
4ass die Karaiten weder Tefillin noch Arba Kaufes
tragen, dass sie den zweiteu Feiertag nicht halten etc.
Er führte uns auf unseren Wunsch selbst in die Syna-
goge, die man mit Schuhen nicht betreten darf. Es
ist ein einfacher freundlicher Bau, dessen Hauptschmuck
in den wundervollen kostbaren Teppichen besteht, mit
denen der Fusshoden belegt ist. Auch den Haupt-
sehatz dieser Synagoge bekamen wir zu sehen, ein altes
Bibelmanuscript, auf Lammhäuten in Blattform mit
Vokalzeichen geschrieben, das nach der eigenen Angabe
des Schreibers, die noch erhalten ist, 827 nach der
Tempelzerstörung geschrieben, also aus dem Jahi'e 900
der üblichen Zeitreclinung ist. Leider ist hei einem
Brande ein Teil des kostbaren Mannscriptes verbrannt.
Der Chacham Baschi zeigte lebhaftes Interesse für die
jüdische Wissenschaft und wir uiussten ihm versprechen,
^
— 31 —
ihm Büchertitel von Werken in hebräischer Sprache,
besonders historischen, zu senden, die er gerne kaufen
wollte. Der Besuch bei dieser imponierenden Persön-
lichkeit ist eine unserer angenehmsten Erinnerungen
von dieser Reise.
Zwischen Sephardim und Karaiten herrscht heftige
Feindschaft, während die Aschkenasim mit beiden gut
stehen. Ehen kommen zwischen Sephardim und Asch-
kenasim selten, mit den Karaiten gar nicht vor.
Sehr günstig ist die Lage der ägyptischen Juden
in politischer Beziehung, sie sind den Bekennem anderer
Confessionen oder viehnehr, wie man im ganzen Orient
die Sache auffasst, den anderen Nationalitäten voll-
kommen gleichgestellt, sie haben ebenso wie diese Zu-
gang zu allen Beamtenstellungen und sind auch häufig
in allen Zweigen der Verwaltung zu finden. Mit der
arabischen Bevölkerung stehen sie ganz gut, nur den
Karaiten wird nachgesagt, dass sie manchmal Raufereien
mit den Arabern ihres Viertels haben, doch sollen die
Karaiten, unter denen dem Trünke stark gehuldigt wird,
der angreifende Teil sein. In neuester Zeit werden
die Juden auch zum Heeresdienst herangezogen, es
steht ihnen aber wie den anderen Nationalitäten der Los-
kauf frei, wobei dann 400 Mark pro Kopf zu entrichten
sind. Nicht minder finden sich unter den Polizisten
eine ganze Anzahl Juden.
— 32 —
Ein sehr wunder Punkt in den Verhältnissen der
ägyptischen Juden ist das Schulwesen. Die Sephardim
haben wohl einige Schulen, welche aber nicht entfernt
ausreichen, die Aschkenasim besitzen überhaupt keine
und so wächst der grössere Teil der jüdischen Jugend
ohne jede Schulbildung auf. Ganz besonders macht
sich der Umstand geltend, dass auch nicht eine höhere
jüdische Schule existiert und deshalb alle Familien,
welche ihren Kindern eine bessere Schulbildung ver-
schaffen wollen, genötigt sind, dieselben in die Schulen
der französischen Mönche, welche Gymnasialrang haben,
oder in das Institut der französischen Nonnen in
Ramleh bei Alexandrien zu schicken, wo natürlich ihre
Erziehung eine durchaus christliche ist. So wächst
auch hier eine Generation heran, die dem Judentum
entfremdet und dem religiösen Indifferentismus oder
der Taufe überliefert wird. Der westeuropäische Jude,
in dessen Schulwesen die Religion ja leider sehr zurück-
tritt, kann sich nur schwer vorstellen, welche Bedeutung,
ja welche allein entscheidende Wichtigkeit sie im
Unterrichtswesen des Orients hat. Eine europäisch
geleitete Volksschule für Knaben und eine für Mädchen,
dann später ein Lyceum und eine höhere Töchterschule
könnten unberechenbaren Segen stiften. Die Alliance
israelite universelle würde, wenn sie dieses Werk allein
oder auch gemeinsam mit der Anglo Jewish Association
— 33 —
find der Brei Brith-Logen unternähme, für die aufge-
wendeten Mittel auch materiellen Ersatz finden, denn
bei einiger Propaganda Hessen sich in Kairo viele Mit-
glieder gewinnen, deren Beiträge zusammen mit den
Schulgeldern der wohlhabenden Eltern die Kosten der
XJnterrichtsanstalten wohl decken würden.
Wir hatten natürlich von den zwei Tagen, die wir
-überhaupt in Kairo zubringen durften, die meiste Zeit
dazu verwendet, die Verhältnisse unserer Glaubens-
genossen kennen zu lernen, so blieb uns denn für die
^eigentlichen Sehenswürdigkeiten wenig Zeit. Selbst-
verständlich war, dass wir die Pyramiden sehen mussten
und wir führten dies am zweiten Tage ohne Schwierig-
keit unter der bewährten Leitung des Herrn Bemard
aus. So kolossal die Masse der Pyramiden auch ist,
so hat der Beschauer nicht den imponierenden Eindruck,
den man erwarten dürfte, weil die eigentümliche Form
demselben hinderlich ist. Ungemein imponiert hat uns
dagegen die riesenhafte Sphinx, von der nur Kopf,
Brust und 2 Tatzen vom Sand freigelegt sind. Auch
die leeren Gräber, die in der Näho der Pyramiden
liegen, sind sehr merkwürdig und regen zu allerlei Ge-
danken über verschollene Grössen an. Sehr unangenehm
wird man aber aus allen solchen Träumereien immer
wieder durch die aufdringliche Bettelei der Beduinen
geweckt, die hier das Schutzrecht über die Fremden
3
— 34 —
und das FUhrerrecht ausüben, um einen Begriff von
der Zähigkeit dieser Backschischbettler zu geben, sei
erwähnt, dass ein Junge mit einer Kanne Wasser un&
nachlief von Anfang bis Ende unseres Ausflugs d. h.
2 Stunden lang und dass, als wir bei den Pyramiden
ankamen, unserer kleinen, nur aus 3 Personen be-
stehenden Gesellschaft eine ganze Karawane folgte mit
Kamelen, Eseln , Antiquitätenhändlern, fliegenden Caf etiers^
etc., alles Backschischbettler, die ihre Reittiere, Selten-^
heiten etc. anboten. Qanz modern berührte es uns,,
als der Scheich der Beduinen, uns höflichst um ein
Zeugnis bat, dass uns seine Leute gut geführt hättetk
und uns ein Fremdenbuch zum Einschreiben vorlegte.
So weit ist die Civilisation also schon am Fusse der
Pyramiden gediehen.
Alle unsere freie Zeit brachten wir im Bazar zu,,
der in der That auch das interessanteste war. In un-
übersehbarem Gewirr ziehen sich die Gassen und
Gässchen hin, die breiten so weit, dass zwei Reiter
sich ausweichen können, die schmälsten so eng, dass-
kaum zwei Fussgänger neben einander Platz finden..
Auf beiden Seiten reiht sich ein Laden an den anderen^
alle nach Gewerben geordnet, so dass jedem Handels-
oder Handwerkszweig mindestens eine Gasse gewidmet
ist. Die Läden sind so eng, dass oft ein grosses Spind
nicht hineingehen würde und selten mehr als gerade-.
— 35 —
mannshoch. Hier sind die verschiedensten Schätze aus
allen Weltteilen aufgespeichert, oft sehr kostbare Sachen,
wie Geschmeide, grossartige Teppiche, Shawls etc. Hier
sitzt der Handwerker und fertigt vor den Augen des
Publikums seine Waare und oft nimmt die ganze Fa-
milie an dieser Arbeit Teil. Sehenswert ist auch die
Bazarstrasse der Banquiers, wo ein Banquier neben dem
andern sein Geschäft hat, dessen ganze Einrichtung
aus dem eisernen Geldspind, dem kleinen Divan, auf
dem der Inhaber sitzt und einer Tischplatte für den
Verkehr mit dem Publikum besteht. Trotz dieser
primitiven Einrichtungen werden viele Millionen hier
umgesetzt. Zu alledem denke man sich die Buntheit
des Orients, das dichte Gewühl der Schaulustigen und
Käufer in den engen Strassen und die lebhaften Dis-
kussionen der Käufer und Verkäufer und man wird
verstehen, dass der Bazar dem Europäer ein sehr reiz-
volles Bild gewährt.
So schön Kairo ist, uns zog es nach dem heiligen
Lande und wir freuten uns, als uns das Dampfross
nach zwei Tagen durch die Wüste nach dem Hafen
Port Said führte. Zum ersten Male sahen wir die
nackte Wüste, weit und breit nur Sand, selten einen
Grashalm und dennoch hat selbst in dieser Einöde die
Kunst des Europäers verbunden mit der befruchtenden
Macht des Goldes und der Arbeitskraft der Einge-
8*
— 36 —
borenen Oasen geschaffen, lieblich anzuschauen, wie ein
Garten. So erschien uns Ismailia am Suezkanal, wo
die Bahn sich m zwei Arme teilt, deren südlicher nach
Suez, deren nördlicher nach Port Said führt. Mit der
Reisegesellschaft hatten wir es sehr gut getroffen, ein
deutscher Franziskanermönch, Pfarrer in Suez, welcher
uns bis Ismailia begleitete, erwies sich als ein sehr
netter Gefährte. Er war deutscher Husarenoffizier
gewesen, hatte 1870 mitgemacht und war dann in ein
Kloster gegangen, von wo man ihn nach dem Orient
geschickt hatte. Hier hatte er mancherlei Sprachen
gelernt, französisch, englisch, holländisch, spanisch,
italienisch, portugiesisch, arabisch und türkisch und
beinahe seine deutsche Muttersprache vergessen. Er
freute sich nicht wenig wieder einmal deutsch sprechen
zu können und amüsierte uns mit seinem derben, aber
richtigen Urteile über die deutschen Verhältnisse. So
tolerant er im allgemeinen war, so grimmig wurde er,
als die Rede auf Stöcker kam, dem er von Herzen eine
gehörige Tracht Prügel wünschte, ob er sie von Juden
oder Katholiken erhielte, war dem guten Pater gleich,
verdient hätte jener sie um beide, meinte er. In Is-
mailia erhielten wir noch einen jungen Kopten (einge-
borenen Christen) zum Gefährten, der uns durch seine
vielseitigen, besonders geographischen Kenntnisse über-
raschte. Er hatte, wie sich im Gespräch ergab, das
— 37 —
Gymnasium der amerikanischen Mission in Beirut be-
sucht und flösste uns Respekt ein vor den Leistungen,
die unter den schwierigen Verhältnissen des Orients
die Lehrer dieser Schule zu erreichen wissen.
Port Said selbst ist eine Hotelstadt, so recht
eigentlich nur für den freilich riesenhaften Durchgangs-
verkehr durch den Suezkanal entstanden, und bietet
nichts sehenswertes. Wo nicht gerade Häuser sind,
beginnt tiberall die öde Wüste. Am Sonntag waren
wir nach Kairo gekommen, Dienstag verliessen wir
diese Stadt und gingen am Mittwoch Abend in Port
Said wieder an Bord der „Thalia", die uns nun in
wenigen Stunden in Jaffa landen sollte.
m.
Die Nacht verging ruhig und als wir am Morgen
erwachten und auf Deck kamen, da lag es vor uns^
das Land unserer Sehnsucht, das, so lange ich denken
kann, immer den Gegenstand meines Sinnens abgegeben
hat, immer der Mittelpunkt meiner Träume gewesen
ist. Als Knabe und Jüngling hojffte ich noch, bald in
das heilige Land meiner Väter ziehen zu können um
dort zu bleiben und an der Wiedergewinnung unseres
Erbes mitarbeiten zu dürfen. Es ist mir nicht so gut
geworden, als Mann musste ich mich bescheiden lernen
und froh sein, wenn auch nur als Reisender die Stätten
— 38 —
zu erblicken, wo Israel einst ein grosses Volk im eigenen
Lande sass und den Boden so bebaute, dass „Milch
und Honig" floss. Wo vor 1800 Jahren die Geschichte
unseres Volkes jäh abriss, dort knüpfen heute wir wieder
an, denen das Golus eine unerträgliche Last geworden
ist, und in dem menschenleeren Palästina regen wieder
jadische Hände Pflugschar und Sense und Winzermesser,
um dem alten Boden aufs neue seinen Segen abzu-
ringen. Mir aber ist es vergönnt gewesen, das mit
eigenen Augen zu schauen, was im fernen Europa wie
ein Wunder klingt, und wenn ich den Traum meiner
Jugend nicht erfüllen und nicht selbst mitarbeiten kann
auf dem Boden der Väter, dafür, dass ich unsere
jüdischen Arbeiter, unsere jüdischen Dörfer sehen durfte,
danke ich Gott alltäglich.
Unmögliches würde ich unternehmen, wollte ich
die Gefühle wiedergeben, die uns Angesichts des Landes
der Ahnen ergrijffen. Im Geiste sahen wir die ganze
Geschichte unseres Volkes an uns vorüberziehen und
prophetische Bilder der Zukunft stiegen vor unserem
geistigen Auge auf ....
Jaffa repräsentiert sich vom Meere aus ausge-
zeichnet, auf einem steilen Felsen von 36 Meter Höhe
erhebt sich die Stadt vom Meere aus und ihr buntes
Häusergewimmel bietet ein malerisches Bild. Vor der
Stadt zieht sich im Meere jene Klippenreihe entlang.
— 39 -
welche dem Hafen einen so Übeln Namen gemacht hat
und an der sich die Wogen tosend brechen, während
rechts und links der eigentlichen Stadt sich an dem
niedrigen Meeresufer neue Vorstädte ausdehnen. An-
genehm enttäuscht wurden wir von der Leichtigkeit
•der Landung, hatten wir doch tiberall gehört und ge-
lesen, dass dieselbe geradezu lebensgefährlich sein sollte.
Als unser Dampfer anlegte, kam zunächst ein Beamter
der Hafenpolizei und der Quarantänearzt auf das Schiff,
während etwa 20 kleine und kleinste Barken den
Dampfer umschwärmten, der, bis die Ladung freigegeben,
•eine gelbe Flagge tragen musste. Aber kaum waren
die Formalitäten beendet und die gelbe Flagge ein-
gezogen, so stürzten sich schreiend und nach dem Ge-
päck greifend, die Ruderer aus den kleinen Booten auf
das Schiff. Mitten in dem Hailoh hörten wir unsern
Namen rufen und als wir dem Rufer uns vorstellten,
•ergab es sich, dass der kleine freundliche Herr, der
uns gesucht hatte, Herr Kaminitz war, der Inhaber
des jüdischen Hotels in Jaffa, den unsere dortigen
Freunde beauftragt hatten, uns abzuholen. Er hatte
«in ziemlich grosses Boot mit 8 Ruderern mitgebracht,
in das mit Blitzesschnelle unser Gepäck befördert
wurde. Wir nahmen Abschied von unseren Reisege-
fährten und stiegen die Schifktreppe herunter ganz
bequem in das Boot, um dann mit grosser Geschwindig-
— 40 —
keit und so glatt, als führen wir auf der Spree, ao
das Land gerudert zu werden. Nur die Durchfahrt durch
die Klippen sah einen Augenblick bedenklich aus, aber ein
gewandter Steuermann weiss auch hier jegUche Gefahr
zu vermeiden. Ebenso glatt wie die Landung verlief
die Pass- und Zollrevision. Wir gaben unsere Pässe
mit der Bemerkung, dass wir Deutsche seien, ab, und
iiberliessen alles weitere Herrn Kaminitz, mit dem
Resultat, dass ehe wir selbst im Hotel waren, schon
unsere Pässe vom deutschen Vizekonsul angekommen
waren, während die Koffer etc. gleich nach uns ein-
trafen. Sie waren gar nicht geöffnet worden, dagegen
fanden wir seinerzeit auf der Hotelrechnung einen
massigen Betrag für Backschisch.
Am Quai erwarteten uns zwei Herren, die wil-
dem Namen nach kannten, Herr Eisenstadt, der bekannte
hebräische Schriftsteller, der als Mitglied des Waad
Hapoel sich sehr verdient um die Kolonisation gemacht
hat und Herr Margulies-Kalvarisky, der, Agronom vom
Fach, zu Studienzwecken im Lande ist. Dieser Waad
Hap^fel ist ein Comitö aus drei Personen, welches die
Geschäfte des grossen Odessaer Vereins zur Förderung
der jüdischen Kolonisation in Palästina selbst führt,
und ihm kommt ein gut Teil Dank für die Erfolge zu,
die bisher errungen worden sind. Beide Herren be*
grüssten uns sehr warm und so herzlich, dass wir uns
— 41 —
sofort in Jaffa heimisch fühlten. Wir können über-
haupt die Gastfreundschaft im heiligen Lande nicht
genug loben, es ist in der That hier noch eine alte
Vätersitte, vom Herzen kommend und zum Herzen
gehend, wie sie einst der erste Patriarch Abraham
ausgeübt hat.
Jaffa ist am Hafen und in den daran anstossenden
Strassen noch ganz orientalisch, eng, schmutzig, die
Bazare nach dem überall gleichen Muster, nur sehr
klein. Dagegen ist der Marktplatz verhältnismässig
gross und wir konnten hier bereits die mannigfachen
und dem Europäer fremdartigen Früchte be wundem,
die das Land hervorbringt. Sobald man aber den
Marktplatz durchschritten hat und sich in die Strasse
nach Nabulus wendet, wo das Judenviertel liegt, ändert
sich das Bild vollkommen. Zwei- und mehrstöckige
Häuser, mit den Fenstern zur Strasse, schönes Pflaster
auf dem Fahrdamm, wie auf dem Fussgängerweg, die
Läden europäisch eingerichtet, klein aber ziemlich sauber
gehalten, die Bewohner dieses Viertels fast ganz euro-
päisch gekleidet, die Strasse sogar gefegt und gesprengt
und Laternen zur Strassenbeleuchtung vorhanden,
wir mussten zugestehen, dass dies unsere Erwartungen
weit übertraf und man, von den fremdartigen Menschen
abgesehen, wohl in einer Strasse einer europäischen
Mittelstadt von 10 — 15000 Einwohnern zu sein glauben
— 42 —
konnte. Diesem Viertel entsprach auch das Hotel
Kaminitz, das am Ende dieser Strasse liegt. Hohe
Zimmer, bescheiden aber ausreichend eingerichtet, gute
Betten mit den landesüblichen Gaze- Vorhängen gegen
Moskitos und anderes Ungeziefer, aufmerksame Be-
dienung, europäische Küche, welche nur in den Ge-
müsen und Früchten der Landessitte Eechnung trägt,
dabei massige Preise, kurz man konnte zufrieden sein.
Wir zahlten z. B. für volle Pension, und es gab ausser
dem Frühstück noch zweimal des Tages 5—6 Gänge,
im ganzen 6 Francs pro Tag.
Wir waren gerade zu dem Schluss des Laubhütten-
festes angelangt, am Morgen vor Simchat Torah und
nachdem wir uns einigermassen restauriert, eilten wir
zur Synagoge. Dieser wie die beiden folgenden Tage
vergingen uns sehr schnell mit Besuchen, die wir bei
einigen jüdischen Familien machten und mit der Be-
sichtigung der Stadt.
Jaffa zerfällt wie alle orientalischen Städte in
eine Menge Quartiere, in denen muhamedanische,
jüdische, griechische, katholische, aimenische Einwohner
getrennt von einander wohnen. Doch ist die Scheidung
nicht mehr so scharf wie früher, der lebhafte Verkehr
der aufblühenden Hafenstadt hat diese Schranken all-
mählich durchbrochen. Dieser Verkehr ist besonders
stark in Südfrüchten, von denen hier in grossen Baum-
— 43 —
gärten besonders Orangen und Citronen gezogen werden.
Die Gärten verleihen der ganzen Stadt ein freundliches
Aussehen, und ihre Gerüche tragen nicht wenig zur
Verbesserung der Luft in derselben bei.
Um ein Bild des Handels zu geben füge ich die
Tabelle über Ein- und Ausfuhr bei, die alljährlich der
englische Konsul veröffentlicht. Beide Rubriken sind
im fortgesetzten Steigen und haben sich seit einem
Jahrzehnt verdreifacht.
Einfuhr:
BaumwoUwaaren . 1481250 fr.
Kaffee . .
Reis . .
358750
280000
893750
436250
112600
385000
Zucker . ,
Petroleum
Eisenwaaren
PI) antasiewaaren
Kleider u. Stoffe feine 337250
„ ordinäre . 167750
Wein u. Spirituosen 72500
Kohle 108125
Bauholz .... 406250
Ziegel 124500
Salz 89375
Mehl 362750
Eisen 121250
Andere Artikel . . 670000
Summa 6402250
Weizen
Mais
Olivenöl
Sesam .
Seife .
WoUe .
Orangen
Koloquinth
Häute .
Bohnen
Lupinen
Gerste .
Knochen
Wein .
Andere Artikel
Ausfuhr:
. 48000 fr
. 354450 „
. 151250
. 1495000
. 2827850
. 133000
en
n
1815000
62500
356850
420750
104350
15875
50500
100800
1400000
9336175
— 44: —
An historischen Sehenswürdigkeiten bietet die Stadt
nicht viel, die Klöster und christlichen Legendenstätten
interessieren uns nicht, um so mehr aber die in der
Nachbarschaft sich entwickelnden landwirtschaftlichen
Unternehmungen. Dicht bei Jaffa liegt die kleine
deutsche Kolonie der Templer, jener wtirttembergischen
Bauern, die im Jahre 1860 nach Palästina auswanderten,
um dort die wahrhaft christliche Gemeinschaft vorzu-
stellen. Eine halbe Stunde weiter liegt die Kolonie
Sarona, ebenfalls von denselben Templern ins Leben
gerufen und während die erstere Ansiedelung längst
die ursprüngliche Beschäftigung mit dem Ackerbau
aufgegeben hat und ihre Mitglieder Handel und Gewerbe
betreiben, sind die Bauern in Parona noch vollständig
Bauern geblieben. Sie stehen sich sehr gut dabei, alle
sind wohlhabend geworden, aber der Nachwuchs fehlt,
da eigentümlicherweise die zweite Generation der
Deutschen das KJima nicht verträgt, während die Juden
sehr gut dabei gedeihen. Diese Templer haben einen
guten Teil des Grosshandels in Jaffa, Haifa und Jeru-
salem in der Hand und sie haben mit grosser Gewandt-
heit verstanden aus Bauern Kaufleute zu werden.
Gegenwärtig sind sie die Grosshändler, während die
Juden Bauern, Handwerker, allenfalls Kleinhändler
sind, ein Verhältnis, das für den deutschen Juden
besonders interessant ist, der in seinem Geburtslande
— 45 —
genau das umgekehrte Verhältnis vor Augen hat.
Jaffa war vor zwei Jahrzehnten ein ganz kleiner
Ort, in welchem Juden fast gamicht ansässig waren.
Mit dem wiedererwachenden Interesse flir das heilige
Land mehrten sich auch die Pilgerfahrten nach Jeru-
salem und Jaffa, das Thor Palästinas gewann von
neuem Bedeutung. Rasch bildete sich eine namhafte
jüdische Gemeinde, deren lebhaftes Portschreiten nur
im Jahre 1891 unterbrochen wurde. In diesem Jahre
des Unheils nämlich staute sich hier in Jaffa der Ein-
wanderungsstrom der russischen Juden, welche aus ihrer
„Heimat" ausgewiesen waren, bis die Choleragefahr die
türkische Regierung zu einem Einwanderungsverbot
zwang, welches de jure, aber nicht de facto, noch heute
besteht. Jetzt sind die Verhältnisse innerhalb der
jüdischen Gemeinde, die 300—400 Familien mit 2000
bis 2500 Seelen zählt, stabil geworden. Unsere
Glaubensgenossen leben in sehr bescheidenen Ver-
hältnissen, die Mehrzahl sind arme Handwerker,
Schneider, Schuster, Tischler, der Rest kleine Krämer,
nur sehr wenige sind wohlhabend, Niemand ist reich
zu nennen. Dagegen ist die Intelligenz verhältnismässig
stark vertreten: Aerzte, Apotheker, vor allem die Lehrer
der verschiedenen AUianceschulen sowie die Beamten
und Lehrer der jüdischen Kolonien, von denen eine
ganze Anzahl im Kranze um Jaffa wie um ihr natürliches
— 46 —
Centrum liegen. Die JaflFaer Gemeinde hat eine Speziali-
tät: miter einem aschkenasischen Eabbiner leben Aschke-
nasim und Sephardim, deutsche, russische, polnische und
spagnolische Juden einträchtig miteinander, wie dies sonst
nur in sehr wenigen Gemeinden, in Palästina in keiner
zweiten der Fall ist. Nach dieser Richtung könnte
und sollte das in Jaffa gegebene Beispiel zum Muster
dienen, der Segen solcher Friedfertigkeit tritt hier in
sehr wohlthuender Weise gegenüber den Zänkereien in
den anderen palästinensischen Gemeinden in die Er-
scheinung. Es bestehen auch ausser der offiziellen
Gemeinde eine Anzahl von Vereinen, welche die den ver-
schiedensten Ländern entstammenden Juden mit ein-
ander zu verschmelzen bestrebt sind. So existiert eine
Bnei Brithloge, ein Geselligkeitsverein etc., die gleich-
zeitig auch bemüht sind die unvermeidlich sich geltend
machenden Unterschiede der sozialen Stellung, Bildung
etc. so wenig als möglich fühlbar werden zu lassen.
Eine sehr wesentliche Förderung erhielten alle
diese Bestrebungen durch die Schulen in Jaffa. Unter
dem Namen Beth Sefer bestehen dort eine Knaben-
und eine Mädchenschule, die bei weitem das beste sind,
was im Schulfache in Palästina geleistet wird. Ihre
Eigentümlichkeit besteht aber in der starken Betonung
des hebräischen Unterrichts. Derselbe wird so gehand-
habt, dass die Kinder in den unteren Klassen voll-
— 47 —
kommen die hebräische Sprache erlernen, so dass sie
dieselbe als ihre Muttersprache sprechen, mid in den
höheren Klassen wird dann der Unterricht mit Aus-
nahme des französischen in hebräischer Sprache er-
teilt. Es ist sehr interessant, die Kinder dieser Schule
sich auf der Strasse hebräisch unterhalten zu hören,
und es weckt ganz eigentümliche Gefühle und Gedanken,
wenn man auf dem Boden, der einst dem Volke Israel
gehörte, die Laute der heiligen Sprache von Kindern
von 8—10 Jahren vernimmt, nicht im Gebet, sondern
im Spiele, oft auch im Streite und immer in der all-
täglichen Unterhaltung von ihnen benutzt. Die Schulen
sind aber auch in Bezug auf ihre Leistungen in anderen
Fächern den üblichen Allianceschulen weit überlegen,
und es besteht die Absicht des Comit6s, das diesen
Schulen vorsteht, aus denselben höhere Schulen, aus
dem Knabeninstitut ein Lyceum, aus dem Mädchen-
institut eine höhere Töchterschule zu machen. Die
Allianz hat keineswegs die Leitung von Beth Sefer,
dieselbe untersteht vielmehr einem lokalen Schulkomitö,
was um so gerechtfertigter ist, als der weitaus grösste
Teil der Mittel von der Chawawe Zion in ßussland
aufgebracht werden. Von einem Budget von ca.
25000 Fr. giebt die AUianze israelite universelle nur
6500 Fr., wofür sie das Recht hat, Direktor und
Direktrice der beiden Schulen zu wählen. Eine Organi-
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— 49 —
Schulen vorhanden wären, manchem europäischen Juden
die Einwanderung erleichtert würde, der heut glaubt
seinen Klndem im Orient nicht die nötige Schul-
bildung angedeihen lassen zu können. Immer wieder
muss betont werden, im Orient dreht sich in der Schule
alles um die Eeligion, das Judentum wird so lange
nicht für voll gelten, bis es sich dazu aufraffen kann,
-dort eigene höhere Lehranstalten zu unterhalten, wie
dies die Mohamedaner, so gut wie alle christlichen
Sekten thun. Das Werk der AUiance ist sehr gut,
sehr nützlich, aber nach dieser Richtung hin weist es
•eine schwere Lücke auf. Hoffentlich geben die Chawawe
Zion aller Länder dem Schulkomitö die nötigen Mittel,
um seine in der geschilderten Richtung sich bewegenden
Pläne auszuführen.
Auf Wunsch unserer neuen Freunde besuchten wir
auch das Hospital Schaare Zion in Jaffa, das die
jüdische Gemeinde mit Hilfe milder Gaben von aus-
wärts unterhält. Herr Dr. Stein, der Arzt dieses
Krankenhauses, ein russischer Jude, der in Leipzig
studiert und dort seinerzeit auch das Staatsexamen
gemacht hat, war in liebenswürdigster Weise der
Cicerone. Wir fanden ein hübsches, lichtes, zweistöckiges
Haus am Meeresufer, dessen Zimmer 18 Betten ent-
hielten, alles mit der grössten Sauberkeit eingerichtet,
-einfach aber von musterhafter Ordnung. Die 18 Betten
— 50 —
genügen dem gegenwärtigen Bedürfnis der Jaffaer Ge-
meinde und einiger der nächstgelegenen Kolonien, dier
dasselbe in Anspruch nehmen, während freilich im Fall
einer Epidemie die Einrichtungen viel zu klein sei»
würden. Glücklicherweise kommen solche Epidemien
in dem im allgemeinen gesunden Jaffa nur selten vor.
IV.
Nachdem wir uns mit den Verhältnissen in Jaffa
einigermassen vertraut gemacht und mit unseren dortigem
Freunden in längeren Sitzungen über die verschiedensten
Pläne für die weitere Entwickelung der Kolonisation^
der Beth Seferschulen und so weiter unsere Meinungea
ausgetauscht hatten, begannen wir unsere Ausflüge in
die Kolonien.
Schon am zweiten Tage unserer Anwesenheit
führten uns unsere Freunde Eisenstadt und Kalvarisky^
nach Mikweh Israel, der berühmten Ackerbauschule^
welche die AUiance dicht bei Jaffa besitzt. Man geht
auf der Chaussee nach Jerusalem, die leider, kaum
dass die Bahn eröffnet ist, schon vernachlässigt wird^
etwa eine viertel Stunde erst an den grossen Baum-^
gärten entlang, aber bald tritt man in die Ebene Saron^
die sich uns um diese Zeit, es war am 11. Oktober^
als eine grosse Sandwüste repräsentierte. Eine halbe
Stunde von Jaffa entfernt sieht man rechts die grosseix
— 51 —
Gebäude der Schule Kegen, die man in wenigen Minuten
erreicht. Mikweh Israel besteht schon seit 1870, aber
trotz aller darauf gewandten Mühe wollte die Schule
Anfangs nicht vorwärts kommen, auch konnte man für
die hier ausgebildeten Schüler keine Arbeit finden. Als
aber die Ackerbaukolonisation sich entwickelte, da
stieg auch die Bedeutung der Ackerbauschule und seit
der jetzige Direktor Herr Niego die Schule leitet, hat
sie einen sehr bedeutenden Erfolg gehabt. Ihre Schüler-
zahl ist ständig gewachsen und erreicht jetzt schon
beinahe 100.*) Als wir die Anstalt besuchten, waren
gerade Ferien und die grosse Mehrzahl der Schüler bei
ihren Eltern, wir konnten daher von dem Unterricht
nichts sehen und mussten uns darauf beschränken, die
Gebäude und Anlagen unter der kundigen Führung des
Direktors Niego zu besichtigen. Dies war aber hoch-
interessant, und ich rate jedem Eeisenden, der Jaflfa
besucht, auch wenn er nicht Jude ist, sich diese An-
stalt anzusehen, die mit Recht der Stolz der Alliance
ist. Sie stellt ein ganzes Gut vor, denn sie besitzt ein
Terrain von 2600 Dunam gleich ca. 240 Hektar mit
allen dazu nötigen Wirtschaftsgebäuden, den Häusern
*) Dies war 1895 geschrieben. Jetzt verlautet, dass neue
grosse Erweiterungsbauten ausgeführt werden sollen, damit für
weitere 100 Schüler Platz geschafTen werde.
Berlin, den 25. 6. 97.
4»
— 52 —
für die Schule und den Wohnungen der Lehrer und
der Zöglinge. Die Einrichtung und das Ziel der An-
stalt entspricht un^^efähr dem einer mittleren Acker-
bauschule in Europa, nur dass Mikweh Israel als die
einzige derartige Anstalt im ganzen Lande ungleich
vielseitiger sein muss, als die ähnlichen Institute in
Europa, welche sich den Luxus gestatten können, nur
eine Seite der Landwirtschaft besonders zu kultivieren.
In dieser Vielseitigkeit liegt eine besondere Schwierig-
keit und eine zweite liegt in der für alle Schulen
Palästinas geltenden Thatsache, dass die Schüler aus
allen möglichen Ländern stammen und nicht einmal
die Sprache gemeinsam haben. Da wird denn eine
stramme Disziplin in der Anstalt doppelt notwendig,
aber auch doppelt schwierig und das Verdienst des
Herrn Niego, alle diese Hemmnisse überwunden und
der Schule doch eine glänzende Blüte errungen zu
haben, ist doppelt hoch anzuschlagen.
Die Schüler erhalten die eine Hälfte des Tages
theoretischen Unterricht, während sie in der anderen
praktisch arbeiten müssen. Der erstere Teil umfasst:
Botanik, Zoologie, Physiologie, Tierarzneikunde, Physik,
Chemie, Arithmetik, Buchführung, sowie die Theorien
des Getreidebaues, der Gemüse- und Obstzucht, der
Seidenkultur, des Weinbaues und der Weinbereitung,
endlich der Baumkultur und Blumengärtnerei. Herr
— 53 —
Niego führte uns durch die hellen, luftigen Schulzimmer
und zeigte uns die vorzüglichen Lehrmittel und Bilder
und die reichhaltige Bibliothek, wodurch dieser Unter-
richt wesentlich erleichtert wird. Dabei hatten wir
Gelegenheit, die Umsicht zu bewundem, mit der die-
jenigen Pflanzen- und Tierbilder ausgewählt waren,
welche für den gegenwärtigen Stand der Bodenkultur
im Orient die wichtigsten sind. Diese Umsicht ist ein
Beweis dafür, wie trefflich die Leitung der Schule es
versteht sich den lokalen Bedürfnissen anzupassen.
Praktisch betrieben wird in der Anstalt zunächst
auf ausgedehntem Terrain der Getreide- und besonders
der Weinbau, aber auch die verschiedenen Anpflanzungen
von Fruchtbäumen, durch die man uns führte, nahmen
respektable Dimensionen ein. Wir sahen eine grosse
Anzahl der verschiedensten Fruchtgattungen, zunächst
natürlich die in dieser Gegend so besonders gepflegten
Orangen- (Jaffa- Apfelsinen) Pflanzungen, dann Citronen,
Granaten, Datteln, Mandeln, Feigen, Evasfeigen, Ba-
nanen, Aepfel, Aprikosen, Pfirsiche, Nüsse, Berberiden,
Cakteen etc. Natürlich fehlten Oelbäume und die für
die Seidenzucht nötigen Maulbeerbäume nicht, auch
eine Bambusallee ist vorhanden, sowie eine Eucalyptus-
schonung und eine Baumschule, in der mit den ver-
schiedenartigsten Bäumen Versuche gemacht werden.
Von Getreidearten werden Weizen, Gerste, Mais, dann
— 54 —
Erbsen und Bohnen kultiviert, sehr gute Resultate er-
zielte man mit Wassermelonen. Die Viehzucht, welche
bisher in massigem Umfange betrieben wurde, hat im
Jahre 1894 durch ein grosses Rindersterben, (vielleicht
die Rinderpest) sehr gelitten. Dabei hat sich gezeigt,
dass die Damascener Rindviehrasse nicht so wider-
standsfähig, wenn auch in guter Zeit ergiebiger an
Milch und Fleisch war, als die einheimische Landrasse,
üebrigens ist die Entwickelung der Viehzucht sehr
beschränkt durch den Mangel an Futter, und die Ver-
suche mit dem Anbau von Futterpflanzen haben bisher
noch kein befriedigendes Resultat ergeben.
Mit grossem, aber gerechtem Stolze zeigte uns
schliesslich Herr Niego den Weinkeller der Anstalt.
In den Felsen gehauen bedarf er trotz des warmen
Klimas keinerlei Eismaschinen, wie dies in den anderen
Kellern der Fall ist, um die richtige Temperatur zu
erhalten. Die jährliche Weinproduktion in den vier
Kellereien beläuft sich auf ca. 700 Hektoliter der ver-
schiedensten Sorten, von einem ganz leichten Landwein
an, der nicht transportfähig ist, bis zu Rotwein, der mit
Bordeauxweinen konkunieren kann und süssen Weinen,
welche es getrost mit spanischen in gleicher Preislage
aufnehmen. Besonders vorzüglich war der Muskatwein.
Mikweh beherbergt ausser dem Lehrerpersonal
100 Schüler der verschiedensten Altersklassen, welche
— 55 —
nur zum Teil aus Palästina stammen, zum grössten
Teil von der Feme zu ihrer Ausbildung hierher ge-
schickt sind. Da sind junge Leute aus der Türkei und
Egypten, aus Russland und Rumänien, aus Nordafrika
^tc. vereinigt, um die Landwirtschaft zu erlernen und
.im Durchschnitt verlassen jedes Jahr 18—20 fertige
:Zöglinge die Anstalt. Die Schüler, welche ihre Aus-
bildung vollendet haben, fanden bisher immer leicht
«ine Stellung, sei es in den palästinensischen Kolonien,
sei es als Gärtner etc. ausserhalb des Landes. Neuer-
dings lässt die Leitung der argentinischen Kolonien
des Baron Hirsch Schüler aus Mikweh kommen, um
;sie in Argentinien anzustellen.
V.
Der nächste Ausflug führte uns nach der Perle
der Kolonien in Judaea, nach Rischon Lezion. Wir
krachen frühmorgens auf, um noch vor der grössten
Hitze in dem Dorfe sein zu können, um so mehr, als
wir den etwa dreistündigen Weg zu Fuss machten.
Sobald man den Gürtel von Orangengärten, der um
Jaffa liegt, auf der Chaussee nach Jerusalem durch-
schritten hat, kommt man in eine Sandebene, die sich
kaum von der Wüste unterscheidet. Flach und nur
wenig gewellt dehnt sich die Ebene aus und rings sieht
das Auge nur den gelblich grauen Sand, erst fem am
— 56 —
Horizont die bläulichen Berge von Juidaea. So weit
das Auge blickt, kaum eine Spur von Vegetation, immer
Sand und wieder Sand. Zunächst führt der Weg an
ilikweh vorüber, das wie eine blühende Oase in der
Wüste, rechts von dem Hauptwege liegt. Bald darauf
kommt man an dem arabischen Dorfe Jasur vorbei,
einem Haufen Lehmhütten, deren Dächer Gras bedeckt,
das von Ziegen abgeweidet wird. Jazur sieht einem
Lehmhügel ähnlicher, denn einer Wohnstätte für
Menschen. Gleich hinter Jazur führt der Weg abseits
von der grossen Chaussee und nach einiger Zeit sieht
man auf einem Hügel in der Feme ein ziemlich grosses
hellfarbiges Haus leuchten. Es ist die Synagoge von
Eischon le Zion, auf der höchsten Spitze des hügeligen
Terrains erbaut, so dass sie weithin sichtbar wird, wie
man wohl in Europa die Kirchen auf die Spitzen der
bewohnten Berge baute. Beim weiteren Fortschreiten
sieht man endlich einen kleinen schattigen Wald vor
sich und sobald man heran ist, erblickt das Auge hinter
demselben weithin sich erstreckende Weinberge. Der
Sandweg, der unseren Marsch so mühsam gemacht hat,
hört auf, wir treten wieder auf wohl gepflasterten
Strassen, ein Dorf dehnt sich vor uns aus, rechts auf
einem kleineren Hügel ein hoher Schornstein, der die
Fabrikthätigkeit verriet, wir sind in Rischon und wir
empfinden es sofort, wir sind wieder innerhalb der
— 57 —
Civilisation, nachdem wir meilenweit nur Unkultur ge-
sehen haben.
Unsere kleine Gesellschaft, ausser uns beiden noch
3 Herren aus Jaffa, begab sich zunächst zu Dr. Masie,
dem Arzt von Rischon le Zion, bei dem wir uns
restaurieren wollten. Zufällig war weder er, noch seine
Gemahlin zu Haus, aber die Haushälterin liess uns
nach der freundlichen Sitte des Orients nicht weiter,
ehe wir nicht ein wenig uns erfrischt hatten. Alsdann
aber ging es durch die Kolonie, und wir erfreuten uns
an dem überaus ansprechenden, zum Teil geradezu
imponierenden Eindruck, den alles machte. Der Gegen-
satz zwischen der Wüste, die wir durchschritten, und
dem blühenden Dorfe mit seinen Weinbergen, Frucht-
baumpflanzungen, Gärten und Feldern ist um so
packender, als ja alP diese Kultur wie aus der Erde
gestampft erscheint. Da wo jetzt Häuser und Gärten
und Felder sind, da war vor 15 Jahren alles Steppe,
wie noch jetzt rings herum und man staunt, wie eine
solche Verwandlung möglich war. Das ganze, 1000
Hektar umfassende Terrain ist durch die fleissige
Hand jüdischer Bauern, freilich unterstützt von den
Kapitalien eines grossen Wohlthäters und der Intelli-
genz eifriger für die jüdische Kolonisation des heiligen
Limdes begeisterter Männer zu einem blühenden
Garten geworden.
— 58 —
In der Mitte des Dorfes liegt auf einem Hügel,
von dem man weithin das Land übersieht, und sogar
über die Dünen hinweg das ein und eine halbe Stunde
entfernte Meer erblickt, die Synagoge und Schule, die
wir schon von weither gesehen hatten» Emen zweiten
Hügel nimmt das neue Gebäude der Administration
mit der Wohnung ihres obersten Leiters, des Herrn
Chasan ein. Um diese Hügel gruppirt sich die ganze
Ansiedelung, welche aus steinernen, meist zweistöckigen,
sehr sauber und fast zierlich gehaltenen, vielfach mit
Balkons versehenen Häusern besteht, deren jedes in-
mitten eines Garten liegt und die notwendigen Stallungen
etc. besitzt. Die Kolonie verfügt über drei grosse
Brunnen, die Strassen sind mit Steine gepflastert, und
Alles ist vorzüglich und sehr reinlich gehalten.
Die Kolonisten dieses Dorfes zählen 52 Familien,
aber es leben hier viele Beamte der Administration,
da hier der Mittelpunkt der jüdischen Kolonien ist und
die grosse Weinkellerei mit ihren vielen Nebenbetrieben
ebenfalls viele Beamte erfordert. Dazu kommt noch
die Zahl der Arbeiter, welche als Tagelöhner teils auf
dem Lande, teils in den Kellereien beschäftigt sind.
Man kann die Gesamtzahl der ständigen jüdischen
Einwohner in Eischon le Zion deshalb auf 450 Seelen
veranschlagen, doch steigt in den Perioden, wo der
Boden schnellerer Bearbeitung bedarf, besonders in der
— 59 —
Ernte diese Zahl noch erhehlich. Anerkennenswerter
Weise hat die Administration das Prinzip, nach Mög-
liclikeit nur arme Juden zu beschäftigen, soweit solche
Arbeitskräfte im gegebenen Fall vorhanden sind, manch-
mal müssen freilich Araber aushilfsweise angenommen
werden. Die Beamten sind bis auf einen christlichen
Gärtner ausnahmslos Juden.
Bei unserer Besichtigung des Dorfes kamen wir
nach dem Hospital, wo wir zu unserer Freude Herrn
Dr. Masie fanden, der dann unsere weitere Führung
übernahm. Er zeigte uns das Hospital, eine weitläufige
aus einer Anzahl Baracken bestehende Anstalt, die in
6 Häuschen 28 Betten enthielt, alles reichlich adjustiert
und mit dem Nötigen versehen. Sogar ein Apparat
für hydrotherapeutische Behandlung fehlte nicht. Sehens-
wert war auch die grosse Apotheke, die als Centrale
für alle übrigen in den Kolonien dient. Zwei Krank-
heiten sind besonders häufig zu bekämpfen, Fieber
nämlich und ägyptische Augenkrankheit. Gegen das
erstere haben sich nach Dr. Masie besonders die
Eucalyptuspflanzungen bewährt, welche zwischen den
Fiebermiasmen ausströmenden Sümpfen und der Kolonie
angelegt jene Dünste aufsaugen. Gegen die Augen-
krankheit hat Dr. Masie ein spezielles Mittel gefunden,
welches sich sehr gut bewährt und selbt in ganz
schweren Fällen das Augenlicht den Kranken erhielt.
— 60 —
Erfreulicher Weise kommen die in Europa so gefähr-
lichen Krankh^ten wie Typhus, Diphteritis und Lungen-
krankheiten in Palästina fast garnicht vor, der Ote-
sundheitszustand in den jüdischen Kolonien ist daher
trotz Fieber und Augenkrankheit ein guter.
Herr Dr. Masie nötigte uns in liebenswürdigster
Weise zu Tisch und wir folgten seiner freundlichen
Einladung. Als wir nachher dem Ober-Administrator
der judäischen Kolonien, Herrn Chasan unseren Besuch
machten, trafen wir auf eine Anzahl anderer Gäste
und fanden schliesslich hier eine ganze internationale
Gesellschaft von Zionsfreunden zusammen, ein Beweis
wie sehr das Interesse für Palästina alle Splitter des
jüdischen Volkes wieder beherrscht. Da war ein Herr
aus New- York, ein Herr aus Warschau mit seiner
Gemahlin, sowie noch mehrere Herren aus Russland,
dann ein deutschjüdischer Professor aus der Schweiz.
Der letztere erzählte uns, mit welchem Vorurteil gegen
die Juden in Palästina er in dieses Land gekommen
sei und dass sein Besuch in Jerusalem ihn nur in
seiner schlechten Meinung bestärkt habe. In den Kolo-
nien aber sei er zu einer anderen Ansicht gekommen
und habe gesehen, dass die russischen Juden arbeiten
wollten und der schwersten Arbeit fähig seien, wenn
sie nur solche fänden und die nötige Anleitung dazu.
Femer waren Herren aus Frankreich, Oesterreich,
I y
— 61 —
Eumänien und Tunis, endlich wir beide aus Deutsch-
land in der Gesellschaft, allesamt jetzt einig in der
Liebe für Palästina, in dem Wunsche, den jüdischen
Ackerbau im heiligen Lande zu fördern.
Wir bildeten jetzt schon eine grosse Schaar, als
wir die freundlichen Salons des Herrn Chasan ver-
liessen, um unter seiner und Herrn Brociners Leitimg
die grossen Kellereien zu besehen. Herr Brocmer,
derMer chemischen Fabrik in Jessud Hamaaloh vor-
steht, war zufällig in Rischon, er widmete sich den
ganzen Nachmittag den Gästen und machte in schätzens^
werter Weise den Erklärer. Der grossartige Weinkeller
ist für alle Fremden der Hauptanziehungspunkt in
Rischoü und dies darf nicht Wunder nehmen, denn
selbst in Europa wird eine derartige Anlage eine grosse
Seltenheit sein. Aus allen jüdischen Kolonien, auch
denen, die nicht unter der Admüiistration stehen, werden
die Trauben hierher gebracht, um je nach der Qualität
mit 20—25 Fr. pro Kantar (ca. 300 Kilo) bezahlt zu
werden. Für indische Trauben wird dagegen 60 bis
90 Fr. pro Kantar gezahlt. Noch tragen bei weitem
nicht alle Rebengärten dieser Kolonien und doch ist
die Produktion in diesem Jahre (1895) schon auf
7000 Hektoliter Wein und 500 Hektoliter Cognac ge-
stiegen. Alle Einrichtungen, welche ein geordneter
Betrieb nach dem neuesten System erfordert, sind vor-
— 62 —
banden, grossartige Anlagen waren insbesondere not-
wendig, um genflgend küble Bäume zu scbaffen. Da
bei der riesigen Ausdebnung des Etablissements der
Betrieb von einer Dampfmascbine aus bier nicbt rationell
gewesen wäre, so mussten deren 5 aufgestellt werden,
von denen die eine 80, die zweite 24, die drei anderen
je 4 Pferdekräfte stark sind. Alle Fässer werden in
der eigenen Böttcberei bergestellt. wie aucb die Flascben
aus der eigenen Glasfabrik in Tantura bezogen werden
sollen. Sämtlicbe Handwerker in diesen Fabriken, in
der Maschinenwerkstatt etc. sind, ebenso wie die Maurer
bei den vielen notwendig gewordenen Bauten Juden
und es erfüllt den jüdischen Beschauer mit freudiger
Genugthuung, dass jede Manipulation, die hier vorge-
nommen wird, leichte und schwere, geistige und körper-
liche Arbeit, nur von Juden verrichtet wird. Die
Qualitäten der Weine sind sehr verschieden, neben
leichten und schweren Bordeauxweinen, an Qualität
Chateau Lafitte ähnlich und aus solchen Trauben her-
gestellt, wird ein süsser Wein aus den Alicantetrauben
der Kolonie Rechowoth erzeugt. Aus den leichtesten
Sorten wird ein vorzüglicher Cognac gebraut, dem nach
Ansicht der Sachverständigen nur das Alter fehlt, um
einen sehr hohen Preis zu erzielen.
Auch in Europa giebt es sicher nur sehr wenige
Kellereien, die diesen Umfang und eine so vollkommene
I
V
r'
— 63 —
Einrichtung haben; nicht weniger als zwölf grosse
Kellereien sind zui* Aufnahme des Weines vorhanden.
Freilich muss man wissen, dass in nicht femer Zeit
ein jährliches Quantum von 30000 Hektoliter Wein,
abgesehen von Cognac, zu erwarten ist. Das sollte
für jeden Juden gesteigerter Anlass sein, durch Bezug
dieses Weines dessen Absatz zu erleichtem und so den
Brüdern, welche den Boden der Väter bebauen, seine
Unterstützung angedeihen zu lassen.
Nachdem unser Eundgang beendigt war, hatten
wir noch Gelegenheit bei den Herren Brociner und
Masie einige der Kolonisten kennen zu lemen, um mit
Freude zu sehen, auf welcher hohen Stufe der Intelligenz
dieselben stehen. Eine kleine Anzahl von Vereinen,
sowie eine Bibliothek sorgen für ihre geistige Aus-
bildung und auch an Geselligkeit mangelt es nicht.
Es bedarf kaum der Erwähnung, dass Schule etc. vor-
handen ist.
Für alle diejenigen Juden, welche Rischon le Zion
gesehen haben, wird der Anblick der Kellereien, wie
des ganzen Dorfes ein unvergesslicher bleiben.
VI.
Der nächste Tag nach dem Ausfluge in die Kolonie
Rischon war der Erholung und einigen wichtigen
Sitzungen gewidmet, in denen Fragen und Pläne, die
— 64 —
Kolonisation Palästinas durch russische Juden betreffend,
von dem Waad Hapoel und einigen Freunden aus dem
Auslande, darunter auch wir beiden Berliner, besprochen
wurden. Auch der Vormittag des folgenden Tages
wurde dieser Thätigkeit gewidmet.
Am Nachmittag fuhren wir mit Epstein, dem Ad-
ministrator von Eechowoth und mit Herrn Brande, dem
Vorsteher der Gesellschaft menucha wenachla, der der
grösste Teil dieser Kolonie gehört, von Jaffa hinaus,
um zunächst dieses, dann aber auch die anderen zu-
nächst gelegenen jüdischen Dörfer zu besichtigen. Auch
Prau Brande, eine lebhafte, sehr liebenswürdige ältere
Dame, war mit von der Partie und trug durch ihre
Unterhaltung viel dazu bei, uns bei angenehmer Stim-
mung zu erhalten.
Gegen Abend erreichten wir zuerst Waad el Chanin
auch Nachlath Reuben genannt. Hier hatte ein russischer
Jude, Ruhen Lehrer, ein Gut besessen, das er allmählig
in eine Kolonie verwandelte, während er selbst noch
eine Bujare, das heisst einen Fruchtbaumgarten mit
künstlicher Bewässerung, für sich behielt. Die in diesem
Dorfe angesiedelten 18 Familien besitzen zum Teil
sehr wenig Terrain, zwischen 30 und 150 Duman pro
Familie und sind daher genötigt, als Arbeiter in die
nächstgelegenen Kolonien zu gehen, um durch Tage-
John zu verdienen, was der allzu kleine Besitz ihnen
— 65 —
niclit bieten kann. Es leben ca. 100 Seelen hier, alle
diese Bauern stammen aus Eussland und sie sind in
der glücklichen Lage eine direkte Unterstützung ent-
behren zu können, nur dass die Chawawe Zion einen
Lehrer besolden, der ca. 20 Kinder zu unterrichten
hat. Als Schochet funktioniert der in Rechowoth an-
gestellte Schächter, die etwa Erkrankten behandelt der
Feldscheer von Qadrah, der zweimal in der Woche
nach Waad el Chanin kommt. Schwere Fälle müssen
natürlich der Behandlung des Dr. Stein in Jaffa oder
des Dr. Masie in Eischon le Zion überwiesen werden.
Glücklicher Weise sind solche bisher sehr selten ge-
wesen.
Der Boden von Waad el Chanin eignet sich, da
viel Wasser vorhanden ist, besonders für Fruchtbaum-
plantagen, auch hat man schon 150000 Weinstöcke an-
gepflanzt und eine besondere Spezialität dieser Kolonie
ist der vorzügliche Bienenhonig. Die Kolonisten be-
sitzen bisher nur Holzhäuser, welche sich aber recht
gut bewährten, doch wird ihre Existenz erst dann
völlig gesichert sein, wenn sie durch fremde Hilfe oder
vielleicht allmälig auch aus eigener Kraft in der Lage
sein werden, die Fruchtbaumplantagen sehr erheblich
auszudehnen. Der Boden ist, wenn er — wozu das
Wasser, wie gesagt, in genügender Menge vorhanden
ist — rationell bewässert wird, so fruchtbar, dass diese
— 66 —
achtzehn Familien von dem Ertrage der verhältnis-
mässig kleinen Terrains, die sie besitzen, vollkommen
leben könnten. Aber man muss sie eben durch Er-
richtung der Bewässerungsanlage unterstützen.
VIl.
Von Waad el Chanin waren wir in einer halben
Stunde in Eechowoth, wo wir unser Nachtquartier
halten sollten. Dieses Dorf bot uns den allererfreu-
lichsten Anblick und nähere Betrachtung bestätigte den
günstigen Eindruck vollauf, den wir von ihm gewonnen
hatten. Ohne jeden Pomp gebaut, fast durchgehends
einstöckige Häuser, viele darunter noch aus Holz, alle
mit Ställen versehen, mit sauber gehaltenen Strassen,
gleicht es einem deutschen Dorfe. Die Ansiedelung
wurde 1890 von der Warschauer Gesellschaft Menuchah
Wenachlah gegründet, deren Vorsteher Herr Brande
ist, und der als Mitglied unter anderem auch der grosse
Zionsfrennd Oberrabbiner Mohilewer in ßialystock an-
gehört. Die Gesellschaft besitzt den grössten Teil des
Areals, das im ganzen 10500 Dunam = ca. 950 Hektar
umfasst, doch sind auch andere Kolonisten auf dem
Rest des Terrains angesiedelt, die nicht zu der Kolonie
gehören. Die Gesellschaft hat einen sehr glücklichen
Griflf mit ihren Beamten gethan, sowohl mit Herrn
Levin Epstein, dem ersten Administrator, wie mit den
- 67 —
Herren Goldin, seinem Vertreter, und Eisenberg, dem
Gärtner. Die Kolonisten selbst haben eine Vertretung,
eine Art Verwaltungsrat eingesetzt, mit dem gemeinsam
<lie Beamten die Leitung des Dorfes besorgen. Auch
diese Kolonie basiert in erster Linie auf dem Weinbau,
dessen Ertrag in Trauben an die Kellereien in Eischon
le Zion verkauft wird. Es sind im Ganzen angepflanzt
<?a. 650000 Weinstöcke, die aber noch nicht alle Er-
trag geben. Ausserdem sind aber auch eine grosse
Zahl von Obstbäumen der verschiedensten Sorten ge-
setzt worden, mehr als 30000, darunter allein 4000
Mandelbäume, und die Zahl dieser Fruchtbäume wächst
mit jedem Jahre; Getreidebau wird wenig getrieben,
doch sind immerhin etwas Weizen, Sesam und Gerste
gesäet worden. Im Ganzen ist von dem grossen Tenain
noch nicht einmal die Hälfte, nur ca. 4000 Dunam
urbar gemacht und bepflanzt worden, der ßest muss
erst allmählig der Kultur gewonnen werden, und das
ist keine leichte Arbeit, denn vielfach ist der Boden
sehr steinig und man stösst auf die Ruinen alter Ort-
«chaften, die oft 15 Meter tief im Boden sich befinden.
Bei diesen Arbeiten sind schon mancherlei wichtige
Funde gemacht worden, die einem Museum zur Zierde
gereichen könnten, man zeigte uns zum Beispiel sehr
alte Münzen, Versteinerungen, Reste alter Säulen etc.
tmd bei Fortsetzung der Bodenarbeiten sind noch viele
5"
— 68 —
interessante Funde zu erwarten. Das Dorf gliedert
sich in zwei parallelen Strassen, doch sollen mit der
fortschreitenden Bebauung noch zwei Querstrassen an-
gelegt werden. Die Kolonisten zählen 48 Familien mit
245 Seelen, wovon 133 Seelen auf die eigentlichen
Bauern, 112 auf die Arbeiterfamilien kommen. Die
Mehrzahl besteht aus jungen Leuten mit kleinen Fami-
lien, die in Eussland den verschiedenartigsten Benifen
obgelegen haben, darunter sind je ein Schmied, Tischler,
Maurer, Schuhmacher und Schneider, so dass die
nötigsten Handwerker auf der Kolonie selbst vertreten
sind und die Bauern manchen sonst recht unangenehmen
Weg sparen. In den beiden Strassen Rechow Jaacob,
nach Herrn Braude so genannt und Rechow Benjamin,
nach dem Vornamen des bekannten Protektors, stehen
zur Zeit 27 Häuser, darunter 6 hölzerne, zu denen
16 Stallungen, manche für 2 Häuser, gehören. Auch
ein Wärterhaus fehlt nicht, in dem der arabische
Wächter, der einzige Araber auf der Kolonie, seines
Amtes waltet. Vor und hinter den Häusern sind
Gärten angelegt und Alleen aus Maulbeerplantagen
ziehen sich die Strassen entlang, auf denen eine Menge
Geflügel sein Wesen treibt. Der Viehstand der Kolonie,
der durch ein grosses Rmdersterben gerade sehr ge-
litten hatte, zählt immerhin noch ca. 100 Stück Rind-
vieh ausser 40 Kälbern, 15 Esel, 8 Pferde sowie einiges
— 69 —
Kleinvieh. Auch hier, wie in den. meisten jüdischen
Dörfern fehlen 'Wiesen, wodurch die Viehhaltung sehr
beeinträchtigt wird, obwohl Wasser in dieser G^end
reichlieh vorhanden war, wie die mehrfach gefundenen
verschütteten Brunnen beweiaen. Der Brunnen des
Dorfes hat genügend Wasser und speist unt«r
anderem auch eine vorzüglich eingerichtete Badestube
mit Douche, eme in diesem Klima doppelt angenehme
Erfrischmig nach der Feldarbeit. Einen besonderen
Schmuck wird die Ansiedelung auf dem höchsten PuDkte
durch die neue Synagoge erhalten, die auf Kosten Herrn
Braude's errichtet werden soll und weithin sichtbar
das Wahrzeichen eines jüdischen Dorfes sein wird.
Besondere Freude machten uns die Kolonisten in
Eechowoth. Hier fanden wir einen Typus vor, der
unserem Ideal von einem jüdischen Bauern sehr nahe
kommt, denn ausser tüchtigen und fleissigen Arbeitern
sind die Ansiedler sämtlich gute Juden und zwar in
jeder Beziehung. Für die religiösen Bedürfnisse ist
vorzüglich gesorgt, in der kleinen Synagoge, die fUnf
Sifrc Thorah besitzt, wird täglich Gottesdienst nach
aschkenasischem Ritus gehalten, Mikweh ist vorhanden,
Schochet selbstverständlich etc. Die Schule ist für
die Vorhältnisse einer Dorfschule sehr gut eingerichtet,
vielleicht selbst diesen Rahmen noch etwas über-
schreitend, sie hat 5 Klassen, in ilciicn .'1 Lehrer e.-i.
— 70 —
40 Knaben und Mädchen im Alter von 5 — 11 Jahrein
unterrichten. Audi die Erwachsenen haben ausser der
Alltagsarbeit noch geistige Bedürfnisse, in jedem Hause
sind wenigstens einige Bücher, das Dorf besitzt auch
eine eigene kleine Bibliothek, die Kolonisten benutzen
aber ausserdem auch die Jaffaer Bibliothek und jeder
Wagen, der zur Stadt fährt, muss für einige derselben
Bücher mitbringen. In dem Dorfe existieren drei Ver-
eine, Chewra kadischa, Mewakker Chaulim und Gemilluth
Chassodim, übrigens auch eine kleine Apotheke. Das^
erfreulichste ist aber der Ernst und Eifer, mit dem die
Kolonisten bestrebt. sind, ihre ganze Lebensfühiiing zu
einer streng jüdischen zu gestalten und sich alles
fremden nichtjüdischenEinflusses zu erwehren. Hebräisch
ist die Unterrichtssprache in der Schule, in hebräischer
Sprache werden alle Fächer gelehrt und die Eltern, die zum
Teil selbst nicht ausreichend hebräisch können, sondern
auf den Jargon angewiesen sind, halten doch darauf,
dass die junge Generation die hebräische Sprache auch
unter sich, beim Spiel, wie bei der Arbeit wirklich
spricht. Alle Namen sind biblisch, die Kinder heissen
Assaph, David, Joab, Deborah etc., auch den Tieren,
werden Namen gegeben, die sich auf Jüdisches be-
ziehen. Wir fuhren mit einem Gespann, dessen Pferde
Nimrod und Balak hiessen, und hörten Hunde
mit dem Namen Titus und Stöcker zur Ruhe verweisen»
— 71 —
Noch einen Zug will ich hervorheben, die wahrhaft
rührende Gastfreundschaft der Kolonisten, die an die
Zeiten Abrahams erinnerte, und von den Wohlhabendei*en
wie den weniger Bemittelten gleichmässig ausgeübt
wurde. Durch sie wird das Bild echt jüdischen Lebens
erst vollständig, das uns die Kolonie Bechowoth bot.
Wir verwandten diesen Abend und den nächst-
folgenden Morgen auf die Besichtigung der Kolonie
und konnten dabei einer interessanten Scene beiwohnen.
Die Kolonie hat mit dem Scheik der nächstgelegenen
arabischen Ortschaft ein Abkommen getroffen, wonach
sie einen Wächter mit 90 fr. pro Monat besoldet, deö
der Scheik stellt. Dafür ersetzt derselbe jeden Dieb-
stahl, Raub etc., der trotz des Wächters vorkommen
sollte, vollständig. Einen Kolonisten war nun eine
Kuh gestohlen und der Scheik verhandelte vor dem
Vorstand der Kolonie mit dem Bestohlenen über den
Wert der Kuh. Die Verpflichtung zur Zahlung er-
kannte er sofort an, nur den Preis wollte er möglichst
drücken, nach dreistündigem Handeln einigten sich in-
dessen die Parteien und der Kolonist soll nicht schlecht
dabei fortgekommen sein.
Wir übernachteten bei dem Apotheker ürabowski,
der mit Levin Epstein und Goldin in unserer Bewirtung
wetteiferte. Allen unseren freundlichen Wirten sei hier-
mit nochmals unser herzlicher Dank abgestattet«
— 72 —
vni.
Für den nächsten Tag war in unserem Beiseplan
die Besichtigung Ton Ekron in Aussicht genommen, um
dann Mittags mit der Bahn von Ramleh nach Jeru-
salem zu fahren. Alles war audi ganz schön kalkuliert,
aber einer jener unberechenbaren Zwischenfälle, die auf
diesen Reisen so häufig smd, warf den Plan Ober den
Haufen. Genau nach Verabredung standen wir friih
auf, besahen uns Bechowoth noch recht genau und
kräftigten uns dann durch ein gutes FrQhstttck, mit
dem uns Frau Epstein bewirtete; alsdann bestieg unsere
ganze Gesellschaft, nämlich Herr und Frau Braude,
Herr Epstein und wir beide zwei Wagen und fort ging
es. Ziandauer muss man sich freilich unter diesen
Wagen nicht vorstellen, vielmehr ganz gewöhnliche
Leiterwagen, dafür war der Weg aber um so schlechter.
Es war ein einfacher Feldweg, der oft kaum erkenn-
bar durch die weite wenig gewellte Sandfläche sich
zog, deren eintöniges gelbliches Grau nur selten der
grUne Schimmer eines Grashalms, öfter auch graues,
hochgeschossenes, stachliehes Domengesträuch unter-
brach. Eine ungemütliche Abwechslung boten uns die
Wadys, die Wasserläufe, welche die Ebene durchziehen,
die um die gegenwärtige Jahreszeit aber vollkommen
trocken sind. Da der Weg über sie hinwegführt. Brücken
- 73 —
aber nirgends vorhanden sind, so fährt der Wagen im
Trabe das steile Ufer hinunter und sofort am anderen
Ufer wieder hinauf. Wenn man bedenkt, dass diese
Wadys oft 6—8 Fuss tief und nur 20—30 breit sind,
so wird man sich vorstellen können, dass der Leiter-
wagen bei solchem Experiment seine Insassen recht
schlecht behandelt. Oft kommen auch trockene Wasser-
läufe vor, die den Reisenden nötigen abzusteigen, ehe
die Durchfahrt beginnt, denn allerlei kleine Abenteuer,
wie Umfallen des Wagens und Steckenbleiben desselben
sind nicht gar so selten. Von dieser Abwechslung ab-
gesehen, ist die Gegend, die man durchfährt, sehr em-
tönig, selten trifft man andere Reisende und nur die
Linien der blauen Berge Judas im Hintergrunde ver-
schönem die wüstenartige Szenerie. Aber so trostlos
diese Gegend auch aussieht, es ist Überaus fruchtbares
Land, jetzt die Sephela, die Ebene der Philister ge-
nannt, die wir durchwandern, um an die Stätte der
alten Philisterstadt Ekron zu kommen, wo jetzt ein
blühendes jüdisches Dorf Ekron liegt, auch nach der
Mutter des Protektors Maskereth Bathja genannt. Viel-
leicht steht auf dem Platze, wo im Tempel des Baal
Sebub jene Philister ihre Siege über die Juden feierten,
jetzt die jüdische Synagoge und noch mancherlei wichtige
historische Funde. Altertümer aus der Zeit der Philister-
fdrsten, mögen im Boden vergraben der Auferstehung
— 74 —
han-en, die ihnen vielleicht der jüdische Pflug bringt^
der die Felder durchfurcht. Der Baab Sebub, der
Fliegengott, aber hat seinen Sitz wohl nach Brindisi
oder Port Said verlegt.
Ekron nimmt in der Reihe der jüdischen Kolonien
im heiligen Lande eine eigene Stellung ein. Als der
grossmütige Protektor beschloss, sich mit der Koloni-
sation in Palästina zu befassen, wünschte er ein Ex-
periment zu machen, in wie weit die Kolonisatioa
rentabel sein könnte. Während bisher auf jülen
jüdischen Dörfern nur Leute arbeiteten, denen der land-
wirtschaftliche Beruf fremd war, die vorher Handel
oder ein Handwerk betrieben hatten, nahm er 1884
eine Anzahl Familien aus den jüdischen Kolonien in
Südiiissland nach Palästina, kaufte ihnen ein Ten-ain
von ca. 700 Hektar bei dem Dörfchen Akir auf der
Stätte des alten Ekron und liess sie dort den schon
aus Eussland her gewohnten Kömerbau treiben. Das
Experiment glückte vollständig, die Ernte erwies sich
als genügend, um die an bescheidene Lebensweise ge-
wöhnten Bauern zu ernähren und alles ging gut, bis
die Administration beschloss den vorzüglichen Boden
zu besser rentierenden Plantagen auszunützen. Dies
geschah und bildet jetzt den Ruhm des Dorfes, das
zweierlei Anbau treibt, denn während die Ad-
ministration eine grossartige Baumpflanzung angelegt
— 75 —
hat, bauen die Kolonisten wie früher noch Weizen^
Sesam und Gerste.
Wir gingen natürlich zuerst, die Bujare, wie hier
zu Lande diese Art Plantagen heissen, zu besiehtigett
und hatten unsere Freude an den grossartigen Anlagen.
Ein mächtiger Brunnen versah das ganze weite Terrain
mit Wasser und kleinere und grössere Kanäle führen
das segensreiche Nass den Bäumen zu. Wir sahen die
verschiedensten Fruchtbäume in allen Grössen, von dea
Schösslingen in den Baumschulen bis zu den fast aus-
gewachsenen, schon fruchttragenden Bäumen. Man sagte
uns, dass die Birjare zur Zeit enthielte: 1519 grosse,
1300 kleine Ethrogimbäume, 28000 Gel-, 1200 Granat-
äpfelbäume, 400 Orangen-, 8000 Mandel-, 1150 Aepfel-,
9500 Maulbeer- und 7134 Aprikosenbäume. In ge-
ringerer Zahl zeigte man uns noch Bananen, Datteln,
Feigen, Zitronen, Pfirsiche, Mimosensträucher etc. und
verschiedene andere Fruchtbäume sollen noch versuchs-
weise angepflanzt werden. Die Bauern ihrerseits hatten
1600 Dunam mit Weizen, 1800 mit Sesam bepflanzt
und waren mit ihren Emteresultaten ganz zufrieden.
Die Kolonie hat auch einen für palästinensische Ver-
hältnisse ganz respektablen Viehbestand, den einzelnea
Bauern gehören 16 Pferde, 8 Esel, 40 Ochsen, 55 Milch-
kühe, 98 Kälber, wozu im Besitz der Administration
noch 1 Pferd, 1 Esel und 29 Maultiere kommen, zusamme»
— 76 —
•248 Stack Vieh, natOrlich noch viel Geflügel ausserdem.
Im Dorfe leben 28 Familien mit 198 Seelen, ferner
noch 13 jüdische und 20 arabische Tagelöhner. Unter
den Baulichkeiten sehen wir nur noch sehr wenig
hölzerne, fast alle sind aus Stein, 35 Häuser, femer
Stallungen, Scheunen, Wächterhäuser, Schuppen etc.
Ausserdem sind zwei mehrstöckige Gebäude vorhanden,
von denen das eine die Administration und die Apo-
theke beherbergt, das andere für die Synagoge und die
Schule den Platz bietet. Sehr gerühmt wurde uns die
Schule, der Lehrer Hurwitz vorsteht, und in der 40 Kinder
zu unterrichten sind. Er ist einer der eifrigsten Kämpfer
für Hebräisch, hat sogar durchgesetzt, dass die Kinder
die heilige Sprache vollständig beherrschen lernen und
sich ihrer auch im AUtagsverkehr bedienen.
Auch in Ekron oder Maskereth Bathjah, wie es
heisst, wurden wir sehr gastfreundlich aufgenommen;
obwohl wir den Herrn Bril, den Administrator, nicht
zn Hause trafen, so Hess man uns in seinem Hause
doch nicht eher fort, bis wir uns dazu verstanden hatten
-ein reichliches Frühstück einzunehmen.
Wir mussten aber bald eine Schattenseite der all-
z\x liebenswürdigen Gastfreundschaft erfahren. In
unseren Plane lag es an diesem Mittag noch nach
Jerusalem zu fahren und desshalb von Ramleh
aus die Bahn zu benutzen. Bis Ramleh musste uns
— 77 -^
der Wagen bringen, den wir von Rechowoth aus be*-
nutzt hatten, und da wir uns bei dem Frtthstück und
bei der Besichtigung der Bujare etwas verspäteten, so
trieben wir Nimrod und Balak, die beiden Gäule vor
unserem Leiterwagen, zur grössten Eile an, der diese
guten Ackerpferde fähig waren. Unser Kutscher, ein
junger Mann aus Rechowoth, verkürzte uns den Weg'
durch seine Plaudereien und gab allerlei kleine Züge
aus dem Kolonistenleben zum Besten. Er war in Russland
Kaufmann (Kommis in einem grösseren Geschäft) ge-
wesen, aber als wir ihn fragten, was er vorzöge: sein
verhältnismässig bequemes Leben in Russland oder die
schwere Arbeit des Bauern in Palästina, sah er uns
an, als seien wir verrückt und meinte, dass er nicht
um viel Geld tauschen würde. In Russland müsse der
Jude sich vor jedem Goi und gar vor jedem Polizisten
bücken, im heiligen Lande kann er sein eigener Herr
auf seinem eigenen Grund und Boden sein.
AUmälig ging die öde Steppe, die wir zuerst durch-
fuhren, in Olivenwaldungen über, die uns die Nähe von
Ramleh ankündigten. lYeilich Waldungen nach deutscher
Art sind das nicht, denn die Olivenbäume, wenn sie guten
Ertrag bringen sollen, müssen sehr weit von einander
stehen und mit ihrem grauen Laub sehen sie ohnedies
immer wie verstaubt aus. Ramleh ist von solchen
Anpflanzungen rings umgeben und ein wichtiger Mittel-
— 78 —
pankt des Oelhandels in Palästina, sonst freilich ein
recht uninteressantes Städtchen mit 9611 Einwohnern,
worunter nur 166 Juden sind. Die letzteren, meist
kleine Handwerker, haben sich in den letzten Jahren
dort niedergelassen und zwar zum grossen Teil durch
die Hilfe des Vereins Lemaan Zion in Deutschland,
4er unter s^aen Attfgahea auch, die zählt,, die jüdischen
Handwerker aus Jerusalem in die kleineren Städte
des heiligen Landes zu verpflanzen, wo sie leichter
Arbeitsgelegenheit und damit Brot finden können, als
in dem überfüllten Jerusalem. Als wir uns dem Bahn-
hof näherten, ging gerade der Zug ab und wir begriffen
mit Schrecken, dass alle unsere Eile umsonst gewesen
sei. Es konnte uns auch wenig trösten, als wir ver-
nahmen, dass wir eigentlich hätten zur Zeit kommen
müssen, aber gerade mit diesem Tage (es war der 16. Ok-
tober) an dem wir fahren wollten, trat der Winter-
fahrplan in Kraft und nach diesem gingen die Züge
eine Viertelstunde früher. Der Trost war an sich ja
•ganz gut, wir konnten wenigstens auf die Bahnver-
waltung und ihren Winterfahrplan, von dem Niemand
etwas gewusst hatte, schimpfen, es half aber doch
nichts, uns blieb nur die Wahl entweder 24 Stunden
in dem langweiligen Ramleh liegen oder zurück nach
Ekron zu unseren Freunden. Wir wählten das letztere,
zurück gings nach Ekron und als wir dort ankamen
— 79 —
und hörten, dass unsere Freunde nach Gadrah weiter-
gefahren waren, so* fuhren wir auch dorthin nach, wo
wir um 5 Uhr Nachmittags denn auch wieder mit
ihnen zusammentrafen und gemeinsam die Kolonie in
Augenschein nahmen.
IX.
Gadrah oder Katra ist eine der ältesten Kolonien
und eme von denen, welche mit den grössten Schwierig-
keiten zu kämpfen hatten. Die Begründer waren be-
kanntlich russische Studenten, in denen die Judenver-
folgungen der Jahre 1881/82 das Gefühl der Zusammen-
gehörigkeit mit ihrem Stamm und ihrem Bekenntnis
neu geweckt hatten. Als dann der zündende Gedanke
von der Kolonisation Palästinas in die Massen geworfen
wurde, entstand auch bei diesen jungen Leuten heisse
Begeisterung für eine befreiende That in dieser Kichtung.
Kurz entschlossen gingen sie nach dem heiligen Lande,
kauften sich Grund und Boden bei dem arabischen
Dörfchen Katra und nun wollten sie Bauern sein. Aber
jetzt begann ein bitterer Kampf der herben Wirklich-
keit mit dem Idealismus, in dem sich die jungen Kolo-
nisten wahrhaft heldenhaft benahmen. Von allen Seiten
erwuchsen ihnen Schwierigkeiten, freilich meist durch
ihre eigene Unerfahrenheit verschuldet. Das Land,
das sie erworben hatten, erwies sich als unfruchtbar
— So-
und fUr die Zahl der Kolonisten daher noch zu klein.
Ungeheuere Arbeit war nötig, umT das Terrain urbar
KU machen, DQnger musste in grossem Massstabe dem
Felde zugeführt werden, die hemmenden Feldsteine be-
seitigt werden. Es war eine Arbeit, zu der die ganze
durch lange Generationen erworbene Tüchtigkeit uralter
Bauemgeschlechter gehörte und die jungen frischge-
backenen Bauern waren Männer der Feder, zum Teil
mit akademischer Bildung, alle von einer hohen Stufe
der sozialen Leiter und diese Elemente sollten dia
gröbste und schwerste Arbeit verrichten, bei der schon
der unvermeidliche Schmutz ihre empfindlichen Nerven
peinigte. Dazu kam, dass die Ansiedler noch unver-
heiratet waren, dass sie daher auch die Arbeiten im
Haushalt selbst verrichten mussten und ihnen die
gerade bei der Landwirtschaft so nötigen weiblichen
Hilfskräfte fehlten. Endlich noch das Uebel des Landes :
Chikanen seitens der Beamten, die die Erlaubnis zum
Häuserbau verweigerten, und der für die erste Koloni-
sation in Palästina typische Geldmangel. Aber der
jüdische Idealismus siegte dennoch, so unwahrscheinlich
dies auch schien, freilich nur unter ungeheuren Opfern
und Leiden der armen Kolonisten. Mussten einige von
ihnen, die der schweren Arbeit nicht gewachsen waren,
aus dem Dorfe fortgehen, so kamen andere, schliesslich
auch einige Verheiratete mit ihren Familien. Durch
— 81 —
Tagelöhnerdienste in den nächsten Dörfern erwarben
die Bauern von Gadrah das Geld zum Kauf des
Düngers und in Körben trugen sie ihn auf das Feld,
weil alles Gerät fehlte. Schliesslich traten die neu
entstandenen Vereine ein und sandten etwas Geld, so
dass Vieh und Ackergerät beschafft werden konnte,
später auch die zum Hausbau nötigen Summen. Auf
dem Terrain war ursprünglich nur ein Bau gewesen,
den die Kolonisten zum Stall für das bei ihrer Armut
um so kostbarere Vieh einrichteten. Sie selbst schliefen
im Freien und erst allmählich konnten sie sich Holz-
hütten, dann steinerne Häuser bauen. So entstand
unter unsäglichen Kämpfen die blühende Ansiedelung,
die wir vor uns sahen.
Schon ehe wir in das Dorf hineinfuhren, das auf
einem Hügel liegt, fiel uns eine stattliche Einderheerde
auf durch das gute Aussehen der Tiere und ganz be-
sonders durch die Sauberkeit, mit der dieselben offen-
bar gehalten waren. Denselben Eindruck machte uns
dann auch das kleine, aus einer einzigen Gasse be-
stehende Dorf. Eine breite, sauber gehaltene Strasse
mit 2 Eeihen Bäumen bepflanzt und bescheidene, aber
gut gebaute und gehaltene Häuser daran, 19 steinerne,
sowie noch einige hölzerne von früher her. Wiederum
wetteiferten die Kolonisten mit einander, wer uns be-
wirten durfte und so einfach natürlich und so ländlich
6
— 82 ~
auch diese Bewirtung begreiflicherweise sein musste«
so wohlthuend war der Eifer der fast durchweg sehr
intelligenten Bauern, uns ihre Gastfreundschaft zu be-
weisen. Ein Spaziergang durch das Dorf und einige
Felder und Pflanzungen zeigte uns vielerlei interessantes.
Das ganze Terrain der Kolonie beträgt 3000 Dunam
— 270 Hektar, wovon aber nicht alles anbaufähiges
Land ist. Es wohnen auf demselben 20 Familien mit
ca. 100 Seelen, jede Familie hat 4 —5 Rinder, Kälber
etc. Die Hauptnahrung erwirbt die Kolonie durch
Weinbau, denn es sind ca. 200000 Reben gepflanzt.
Die Trauben werden meist in den Kellern der Ad-
ministration geliefert, doch erzeugen die Kolonisten
noch selbst in primitivster Weise auch Wein und
Cognac, der zwar nicht so gut wie der von Rischon
le Zion, aber immerhin noch verkäuflich ist, besonders
da er grosse Billigkeit voraus hat, denn die Flasche
dieses Weines kostet nur 20 Pfg. Neben Wein wird
auch Getreide angebaut, der Weizen trug in diesem
Jahre 12 fältig, der Sesam 30fältig und das Gesamt-
resultat war sehr zufriedenstellend. Die Kolonie kann
denn auch seit dieser Ernte jeder Stütze entbehren,
nur die Kosten des Schochet zahlen die Odessaer
Chawawe Zion noch. Natürlich hat das Dorf alle
Erfordernisse einer jüdischen Gemeinde, Synagoge,
Mikweh etc., auch sind ausser dem Schochet noch an-
— 83 —
gestellt ein Melamed, ein Apotheker, der zugleich Feld-
scheer ist und ein arabischer Wächter. Die Kinder
sind alle noch sehr jung, so dass die Frage nach dem
Lehrer noch nicht aktuell war, jedoch wollen die Kolo-
nisten einen solchen bald auf gemeinsame Kosten an-
stellen.
Zwei Merkwürdigkeiten möchten noch erwähnt
werden, die eine, dass jene russischen Studenten, die
einst in religiöser Beziehung die schlimmsten Nihilisten
waren,* auf dem Boden des heiligen Landes sich all-
mählich daran gewöhnt haben, fromme Jehudim zu
sein und heute alle Vorschriften skrupulös befolgen,
imd die zweite, dass in dieser Kolonie man noch an
dem jüdisch-deutschen Jargon festhält und keine Vor-
liebe für hebräisch bezeugt, doch hat auch hier der
Geist der Zeit und des Landes schon eine Wandlung
angebahnt.
Als wir schon zum Scheiden bereit waren, führte
uns einer der Kolonisten noch einmal auf sein Grund-
stück, um uns recht drastisch die P]ntwickelung der
Kolonie zu zeigen. Er wies auf sein hübsches steinernes
Haus, den Stall, in dem 4 Kühe standen, den Hühner-
stall und die Hundehütte und erklärte uns, wie er, als
er zuerst auf das Dorf gekommen sei, in dem Bretter-
gestell habe schlafen müssen, das jetzt sein Hund be-
nutze. Das Jahr darauf baute er ein hölzernes Häuschen,
— 84 —
in dem jetzt sein Geflügel war, und darin wohnte er
mehrere Jahre. Als dann die Bauerlaubnis von der
Behörde eintraf, errichtete er einen hölzernen Schuppen,
in dem er gemeinsam mit dem inzwischen angeschafften
Vieh hauste und als er sich dann verheiratete, diente
ihm die Mitgift der Frau zur Errichtung des steinernen
Hauses, in dem er jetzt wohnte. Damit erklärte er
dann auch alle seine Wünsche befriedigt, wir aber
waren fast zu Thränen gerührt ob dieser kurzen und
einfachen Schilderung der Leiden jener Kolonie.
X.
Noch an demselben Abend fuhren wir bei schönem
Mondschein nach Eechowoth zurück, wo wir über-
nachteten, und am anderen Tage bei guter Zeit nach
Eamleh aufbrachen, wo wir denn auch den Zug recht
bequem erreichten. Wir fuhren nach Jerusalem, wo
wir 2V2 Tag blieben und dann wieder nach Jaflfa mit
der Bahn zurückkehrten. Die Eindrücke, welche wir
auf dieser Eeise in Jerusalem sammelten, will ich mit
denen meines zweiten Aufenthaltes zusammenfassen
und in einem späteren Kapitel zu schildern versuchen.
Hatten unsere bisherigen Streifzüge den südlich
von Jaflfa gelegenen Kolonien gegolten, so brachen wir
nun nach der anderen Hälfte der jüdischen An-
siedelungen, den beiden Gruppen in Galiläa, auf. Auf
— 85 —
dem Wege dorthin wollten wir auch die Kolonie Pethach
Täwah kennen lernen, die kaum 2 Stunden nördlich
von Jaffa liegt. Der Weg führt nicht weit von Jaffa
aa der Templeransiedelung Sarona vorbei, einer grossen,
einen erfreulich an Deutschland mahnenden Eindruck
in uns hervorrufenden Kolonie jener württembergischer
Bibern, welche sich in den 60 er Jahren hier nieder-
fiessen, um den Messias hier zu erwarten. Auch sie
hatten viele Schwierigkeiten zu Oberwinden, aber jetzt
befinden sie sich materiell in sehr günstiger Lage.
Zwar ist ihr Oetreidebau nicht bedeutend, ihr Wein
recht schlecht und bringt nur minimalen Ertrag, aber
sie treiben eine ausgedehnte und sehr rentable Milch-
wirtschaft, die für Jaffa zu guten Preisen und in nam-
haften Quantitäten Milch und Butter, auch etwas Käse
produziert. Sie besitzen viel und guten Boden und
sind als tüchtige Arbeiter weit bekannt, aber sie können
das Klima nicht vertragen und zwar leidet besonders
die jüngere Generation darunter, so dass die alten
Bauern, die aus Deutschland eing^nrandert sind, zwar
fiick noch ganz gut befinden, ihre Kinder aber in un-
geheurer Mehrzahl ganz jung sterben. Wir fanden die-
selbe Beobachtung bestätigt an dem Verfall der Tscher-
kessen-Niederlassung in Chedereh und der gleichen An-
siedelung der Bosniaken bei Caesarea. Beide sind schon
iEMst ausgestorben, so dass es scheint, als könnten die
— H6 —
Fremden das Klima des Landes nicht vertragen. Die
Juden aber haben in ihren Dörfern mit Ausnahme von
Peihach Tikwah und Chedereh eine sehr geringe Sterb-
lichkeit, die freilich zuerst etwas grösser war, aber
allmählich sehr erfreulich abgenommen hat. Auch die
Kindersterblichkeit ist jetzt mit Ausnahme dieser zwei
Kolonien, bei denen besondere Umstände obwalten, sehr
gering. Die Juden sind eben im heiligen Lande ihrer
Väter zu Hause und das Klima ist nur für Fremde
getährlich. Der Leser möge die kleine, wie ich glaube,
nicht uninteressante Abschweifung verzeihen, ich kehre
zu meinem Thema zurück.
Eine zweistündige Fahrt brachte uns gegen 10 Uhr
nach der Kolonie Pethach Tikwah (2J. Oktober), einem
grossen Dorfe, der grössten unter den jüdischen An-
siedelungen in Judaea und der ältesten. Hier machten
schon 1878 Jerusalemer Juden den Versuch zu Bauern
zu werden, gaben ihn aber bald wieder auf und auch
ein zweiter, ein Jahr später unternommener Versuch
führte zu keinem besseren Resultat. Aber 1882 siedelten
sich russische Flüchtlinge in dem verlassenen Dorfe
an und nun begann ein neues Leben. Leider zerfällt
die grosse Kolonie in drei Teile, von dem mächtigen
Terrain, ca. 15000 Dunam = 1360 Hektar gehören
550 Hektar der Administration, 80 Hektar dem in
Hamburg lebenden Philanthropen Lachmann, der Rest
— 87 -
einzelnen Besitzern. Dementsprechend stehen dann
auch 28 Familien unter der Administration, während
die anderen unabhängig sind. Es leben im Ganzen
auf der Kolonie ca. 100 Familien mit 648 Seelen in
ca. 80 Häusern, wovon noch viele hölzern sind und
zum Teil recht erbärmlich aussehen. Der Gesundheits-
zustand ist in Folge der nahen Audschsümpfe nicht
der beste, doch haben sich auch hier die EucaJyptus-
bäume als Fieberfänger bewählt und wesentlich zur
Hebung des Gesundheitszustandes beigetragen. Diese
Pflanzungen sind natürlich von der Administration an-
gelegt, welche auch eine Million Weinstöcke hat setzen
lassen, sowie eine Menge Fruchtbäume. Sie betreibt
auch etwas Getreidebau, wozu ein Dampfflug dient.
Interessant sind die in dieser Kolonie gemachten Ver-
suche mit dem Theebau, die kleinen Theebäumchen
gedeihen hier ganz gut, während auf allen anderen
Kolonien die zarten Pflanzen eingingen. Allerdings ist
auch hier der Versuch noch nicht beendet und das
ßesultat mit Sicherheit noch nicht vorauszusagen. Die
Administration unterhält eine Schule, der Madame
Färb vorsteht, während ihr Gatte die Administration
führt. In dieser Schule werden ca. 80 Kinder unter-
richtet und zwar, was für eine Dorfschule eine ziemlich
hohe Aufgabe ist, in vier Sprachen, Hebräisch, Arabisch,
Türkisch imd Französisch. Auch eine Apotheke, deren
— 88 ~
Verwalter zugleich Feldscheer ist, wird von der Ad-
ministration erhalten, während der Arzt Dr. Masie aus
lUschon le Zion zweimal die Woche nach Pethach
Tlkwah kommt.
Ein zweiter Mittelpunkt für einen Teil der Kolonie
bildet das Gut des Herrn Lachmann, dessen Verwalter
Herr Liebreich, früher in Jerusalem, ist. Auf dem-
selben werden etwas Getreidebau und etwas Weinbau
getrieben, der Hauptteil des Gutes aber von einer
grossen Biyare eingenommen, ftir deren Bewässerung
ein mächtiger Brunnen angelegt ist. Die ganze An-
lage, besonders die Apfelsinenplantage, sieht sehr viel-
versprechend aus, ein Agronom, der in imserer Gesell-
schaft war, rühmte sehr den geordneten Betrieb des
Gutes. Das zu demselben gehörige Wohnhaus ist zwei-
stöckig und enthält ausser den Wohnräumen die Schul-
zimmer der Talmud Thora, die aber zur Zeit nur von
9 Kindern besucht wurde. Im Ganzen war der Ein-
druck dieses Lachmann'schen Gutes ein sehr guter.
Zwischen diesen beiden Polen liegt noch eine
Gruppe von ca. 50 Häusern, meist sehr klein und
primitiv, auch häufig aus Holz, nur selten waren Ställe
bei den Gebäuden zu sehen und etwas von Vieh zu
entdecken. In diesen Häusern wohnen ca. 50 Familien,
denen der grösste Teil der Ansiedelung, ca. 700 Hektar
gehört, die aber gar keinen Ackerbau oder nur zum
— 89 —
kleinsten Teil treiben. Die meisten von ihnen sind Tage-
Itoer, einige Handwerker, einige haben kleine Geschäfte
gehen wohl auch hausieren. Manche von ihnen nehmen
^uch Chalukah, d. h. Armen-Unterstützung in Jerusa-
lem. Keineswegs lassen sich diese 50 Familien einfach
als Bauern behandeln. Dieser Teil der Kolonie hat
schon häufig Unterstützung von den Kolonisations-
vereinen erhalten.
In Jehudije, das gleichfalls zu Pethach Tikwah
gehört, stehen noch 16 Häuser, doch sind dieselben
der gesundheitsschädlichen Ausdünstungen der nahen
Audschsümpfe halber fast leer. Nur einige Familien,
welche in Pethach Tikwah arbeiten, haben sich dort
häuslich niedergelassen.
Gelänge es die sogenannten unabhängigen Kolo-
nisten auch unter die Leitung der einen Administration
zu bringen und erhielte die Kolonie dann einen ener-
gischen und fähigen Administrator, so könnte sie un-
zweifelhaft zu grossem Blühen gebracht werden.
Wir strebten noch denselben Tag nach Chedereh
zu gelangen und fuhren daher Mittags 3 Uhr weiter,
ohne uns durch die Warnungen vor Räubereien bein^en
zu lassen. Herr Liebreich schickte uns noch seinen
Sohn zu Pferde nach, übrigens einen ausgezeichneten
Reiter, um uns die Warnung zu wiederholen, wir liessen
uns aber nicht einschüchtern, obwohl keiner von uns
— 90 —
drei Reisegefährten eine Waffe besass und der Kutscher
ebenfalls nicht, denn wir hatten schon öfter Gelegen-
heit gehabt, die übertriebene Furcht vor solchen an-
geblichen Räubern in Palästina als recht grundlos zu
verlachen.
XL
Die Landschaft zwischen Pethach Tikwah und
Chedereh ist nicht mehr so eintönig, als die Gegend
um Jaffa, zwar die Landstrasse zieht sich noch durch
die glatte Fläche der Ebene Saron, aber zur Linken
sieht man die niedrigen grauen Dünen, die das mittel-
ländische Meer dem Auge verbergen und nur selten
einen Blick auf die weite blaue See gestatten, und zur
Rechten treten häufig Hügel an die Landstrasse heran,
die Ausläufer des Gebirges Ephraim. Um diese Jahres-
zeit ist die ganze Ebene vertrocknet und nicht viel
mehr als ein Sandfeld, aber hin und wieder unterbrechen
doch grüne Oasen die Einsamkeit der Steppe. Unsere
Gesellschaft bestand ausser uns beiden Berlinern nur
aus Herrn Margulies Kalvarisky, der sich ange-
schlossen hatte, um die ihm noch unbekannten nörd-
lichen Provinzen Palästinas kennen zu lernen, und dem
Kutscher, einem Kolonisten von Sichron Jaacob. Das
erste Dorf auf unserem Wege ist Kilkilije, ein durch
den Fanatismus seiner Bewohner berüchtigtes Nest,
— 91 —
wo auch wir ein kleines, spasshaftes Abenteuer hatten.
Während der Kutscher unsere Pferde tränkte, kamen
Araberjungen heran, betrachteten sich die „Frandschi"
und fingen alsbald an unter Schimpfworten mit Steinen
zu werfen. Herr Margulies aber zog aus seiner Tasche
sein Opernglas hervor, und als er dasselbe wie einen
Revolver erhob, stob die ganze Bande laut schreiend
auseinander, ohne sich wieder blicken zu lassen. Dieser
übrigens auch nur spasshafte Konflikt war der erste
und einzige auf der ganzen vierwöchentlichen Reise
und wir haben es nicht bedauert, dass wir ohne die
geringste Waffe unsere Tour gemacht haben Das
zweite Dorf, in dem wir Rast machten, Karkoun
hinterliess einen viel günstigeren Eindruck, denn hier
fiel uns die seltene Schönheit der arabischen Männer
und Knaben auf, die während des Aufenthalts mit
freundlichem Geplauder unseren Wagen umdrängten*
Beim Weiterfahren, es war schon 6 Uhr und dunkel
geworden, machten wir die trübe Entdeckung, dass
unser Kutscher den Weg nicht mehr recht wusste und
als wii* kurz darauf zu einer dem Kaimakam von TuU
Kerim gehörigen Bujare kamen, wo einige Bewaffiiete
stationiert waren und diese uns im schönsten Jargon
versicherten „Seind Ganotim auf Weg", da gingen wir
auf den Vorschlag des Kutschers ein uns einen bewaffneten
Begleiter und Führer mitzunehmen. Einer der hier
— 92 —
stetionierten arabischen „Chajale" (bewaffnete, meist
auch berittene Begleiter) wurde fUr 5 francs engagiert
um uns sicher nach Chedereh zu bringen und nahm
auf dem Wagen Platz. Er war ein netter Mensch,
heiter, gesangeslustig, nicht unintelligent und einiger
Jargonausdrücke kundig. Hier konnten wir auch be-
obachten, wie nahe verwandt die hebräische und arabische
Sprache sind, denn während Herr Margulies hebräisch,
unser FQhrer arabisch sprach, verständigten sich beide
recht gut. Indessen die wichtigste Eigenschaft fehlte
dem guten Manne doch, er kannte nämlich den Weg
gar nicht und da mittlerweile die Nacht hereingehrocheu
war, so verirrten wir uns auf das Schönste. Mond-
schein war leider nicht im Kalender und das Funkeln
der Sterne, so wundervoll es dem Südländer erscheint,
reichte doch nicht aus, um unseren Kutscher imd Führer
sich orientieren zu lassen. So fuhren wir weiter und
weiter und es verging Stunde um Stunde, aber wir
fanden weder Chedereh, noch irgend eine andere An-
siedelung, obwohl wir gar nicht weit entfernt sein
konnten, denn die Bujare liegt nur % Stunden von
unserem Ziele entfernt. Die Situation fing an unge-
mütlich zu werden, obwohl wir durch Singen und
Scherzen das möglichste thaten, um sie amüsanter zu
gestalten. Endlich fingen wir schon an uns auf ein
Nachtlager im Freien einzurichten, als wir wieder auf
— 93 —
ein^ Stelle trafen, wo wir bestimmt schon einmal eine^
Stunde früher gewesen waren. Einer allgemeinen Ver-
blüffmig folgte der Entschluss, nun gar nicht mehr nach
dem Weg zu suchen, sondern uns nur nach den Sternen
zu richten und geradewegs unsern Kurs nach Norden
quer über die Felder weg zu richten. Dieser Beschluss
war auch von Erfolg gekrönt, bald hörten wir Hunde-
gebell und sahen vor uns ein Beduinenlager, dessen
schwarze Zelte im matten Lichte der Sterne und bei
dem spärlichen Schein einiger Feuer einen romantischen
Eindruck machten, den die hin- und hereilenden Menschen,
die bei dem fahlen Licht wie gespenstige Schatten um-
herhuschten, nur erhöhen konnten. Auf die freund-
lichste Weise ward uns bei diesen Nomaden Auskunft,
bald waren wir auf dem richtigen Wege und in einer
Viertelstunde fuhren wir in Chedereh ein unter Absingen
des Zionliedes „Dort wo die Ceder blüht." Der Ge-
sang weckte zunächst alle Hunde des Dorfes und all-
mählich kamen auch einige Kolonisten und endlich
fanden wir um 12 Uhr Nachts Unterkunft bei Herrn
Slutzki, einem uns schon von Jaffa her bekannten An-
siedler. Wir hatten ihn freilich aus dem Bett holen
müssen, er Hess es uns aber nicht entgelten, sondern
nahm uns auf das freundlichste auf und schaffte noch
in der Nacht Thee und Eier herbei, so dass wir einiger-
massen uns restaurieren konnten, ehe wir die ersehnte
— 94 —
und wohlverdiente Nachtruhe auf den improvisierten,
daher nur primitiv eingerichteten Betten suchten und
fanden. Am andern Tage hatten wir das Vergnügen,
festzustellen, dass wir einige Male im Kreis um das
Dorf gefahren waren, welches wir der Dunkelheit wegen
nicht hatten erblicken können, und so zu einem Weg
von Va Stunden schliesslich 5 ganze Stunden gebraucht
hatten.
Frühmorgens weckten uns unsere Freunde, die
Herren von Waad Hapoel: Eisenstadt, Dr. JoJBfe und
Kaisermann, die ebentalls in Chedereh eingetroffen
waren und gemeinsam ging es an die Besichtigung der
Kolonie. In deren Mitte steht ein alter Khan, einer
jener grossen orientalischen Herbergen, die .man oft
mitten auf den Strassen sieht und wo die Reisenden
mit ihren Tieren auf eine Nacht unterkommen können,
ohne jedoch mehr als Obdach finden zu können, da es
Wirte in diesen Herbergen fast nie giebt. Mit dem
Ankauf des Landes ging dieses Gebäude in den Besitz
der Kolonisten über, die teils aus Einzelfamilien, teils
aus den Genossenschaften von Wilna und Riga bestehen.
Da das Geld haperte, so richteten sich die meisten der
Ansiedler in dem grossen viereckigen Gebäude, das
einen weiten Hof umschliesst, so gut es ging ein,
während nur Wenige eigene Häuser erbauen konnten.
Es stehen daher ausser dem Khan nur noch 4 Häuser,
— 95 —
in der ganzen Kolonie wohnen aber 30 Familien mit
110 Seelen, so dass man sich vorstellen kann, wie eng
es hergeht, umsomehr, als auch für das Vieh der
Kolonisten Raum in dem Gebäude geschaffen werden
musste. Oft wohnen in einem Zimmer 5—7 Menschen,
dazu noch das Federvieh der Familie etc. Wirkt diese
Wohnungsnot ungünstig auf den Gesundheitszustand
ein, so noch schlimmer die Nähe zweier Sümpfe, deren
Miasmen die Luft verpesten. Obwohl die Chawawe
Zion von Odessa einen Feldscheer unterhalten, der zu-
gleich Apotheker ist, die Apotheke von Sichron Jaacob
die Heilmittel liefert und der Arzt dieser Kolonie all-
wöchentlich nach Chedereh kommt, ist der Gesundheits-
zustand in dieser Kolonie ein recht schlechter. Ge-
bessert kann er in durchgreifender Weise nur werden
durch den Bau von Häusern und die Austrocknung
der Sümpfe.
Chedereh ist räumlich die grösste Kolonie, sie
misst 30000 Dunam = 2700 Hektar Boden, reicht bis
an das Meer, wo sie einen kleinen Hafen hat, und
besitzt, da Wasser genug vorhanden ist, natürliche
Wiesen, eine grosse Seltenheit im heiligen Lande. Die
Kolonie könnte gut gedeihen, aber erstens hapert es
an den oben erwähnten beiden Bedingungen, dann haben
die Genossenschaften die Arbeit fast aufgegeben und
die einzelnen Kolonisten sind fast ausnahmslos sehr
— 96 —
arme Leute, zum Teil auch der schweren Arbeit nicht
gewachsen, oder auch unter dem Einfluss der Fieber-
miasmen krank und hinfällig. Die Chawawe Zion thun,
was sie können, doch reichen ihre Mittel nicht hin,
um eine entschiedene Wendung zum Besseren herbei-
zuführen. Sie unterhalten einen Schochet, Apotheker,
Lehrer und Wächter und unterstützen einzelne Kolo-
nisten, um sie über Wasser zu halten. Unter diesen
Umständen ist hier noch nicht viel geleistet, es sind
300000 Weinstöcke gepflanzt, sowie emige Frucht-
bäume, endlich jener Garten von Ethrogimbäumen, der
zu Ehren des Oberrabbiners Mohilewer Gan Schmul
heisst. In demselben sind 3500 kleine Ethrogimbäumchen
in einer Baumschule, die noch umgepflanzt werden
sollen, wenn sie etwas grösser sind. Auch der Vieh-
stand der Kolonie ist klein, 20 Pferde, 20 Esel,
100 Stück Rindvieh, ausserdem Hühner und Enten.
Die Ansiedelung macht von allen, die wir sahen, den
ungünstigsten Eindruck imd ist am weitesten zurück,
obwohl alle Bedingungen, im guten Boden etc. gegeben
sind. Dagegen bedarf das Menschenmaterial, das gegen-
wärtig in Chedereh ist, dringend einer Ausmusterung und
Ergänzung, freilich darf man nicht übersehen, dass die
Leiden der Kolonisten sehr gross sind und dass man nicht
von Jedermann den Idealismus der Dauern von Gadrah
verlangen darf.
97 ~
XII.
Von Chedereh führte uns am folgenden Tage der
Weg nach Sichron Jaacob in kaum zwei Stunden. Wir
überschritten dabei den Krokodilfluss (Nähr es Zerka),
in dem noch vor 2 Jahren ein jüdischer Kolonist ein
Krokodil gesehen hat. Er tödtete es durch einen Schuss
und fand dann, dass dasselbe noch nicht ausgewachsen
war. Seitdem ist von dieser Tiergattung kein Exemplar
mehr gesehen worden, übrigens ist dieser Distrikt am
Karmel, in dem die Kolonie Sichron liegt, der einzige
in Palästina, in dem sich noch wilde Tiere befinden;
man sieht sogar, allerdings selten, den Leoparden, im
Lande Tiger genannt, häufiger Wildschweine, vereinzelt
Hyänen, aber auch sanfteres Jagdwild, Rehe etc.
Unser Weg bot nicht viel bemerkenswertes und
war schlecht genug, aber plötzlich fiel uns eine kleine
Brücke auf, die im Gegensatze zu der hierorts üblichen
Gewohnheit sauber gehalten war, und gleich dahinter
begann eine richtige Kunststrasse. Es war jüdisches
Gebiet, in das wir nun kamen, die Gemarkung des
grossen Dorfes Sichron Jaacob. AUmälig steigt der
Weg an, die Landschaft wird hügeliger, wir befinden
uns in den Ausläufern des Karmel. Von der Spitze
dieser Hügel hat man einen schönen Blick auf die
Berge und Hügel, in die Thäler und Schluchten des
- 9S -
Karmelgebirges, die sich in den mannigfaltigsten Formen
rings umher ziehen und mit ihrer grünen Bewaldung
den deutschen Mittelgebirgen gleichen. Vereinzelt er-
scheinen auch kleine Häusergruppen auf den Gipfein
und an den Abhängen und man zeigte uns die beiden
Töchterkolonien Scheweja und Em el Gamal Auf d^
andern Seite schweift der Blick westwärts die Abhänge
des Gebirges zum Meer entlang über die schmale fast
gar nicht bebaute Küstenebene und auf das blaue
mittelländische Meer in seiner dem Auge unübersehbar
erscheinenden Weite, wo nur selten ein Schiflf an dem
fernen Horizont sich zeigt und die majestätische Eiur
Öde unterbricht. Unten am Meer erblickten wir die
kleine Kolonie Tantura, das alte Dor, mit der leider
feiernden Glasfabrik und bald liegt vor uns auf einem
Berge die Kolonie Sichron Jaacob, die der Seelenzahl
nach bei weitem grösste landwirtschaftliche Ansiedelung
ausländischer Juden in Palästina. Die Häuser ziehen
sich schon am Abhang entlang und wie wir so die
vorzügliche, saubere Strasse entlang fahren an der
grossen Kellerei vorbei, vorbei an den Erweiterungs-
bauten^ die noch im Rohbau stehen, zwischen grossen
und kleinen steinernen Häusern hindurch, wiederholeo);-
lich umbiegend in einen anderen Strassenzug, bis wir
zu dem stattlichen Platze kommen, wo das Haus des
Administrators steht und ihm gegenüber der schttae
— 99 —
StÄdtpark mit der sprudelnden Fontaine, . wie wk fast
eine Viertelstunde brauchen, um zu diesem Mittelpunkt
der Ansiedelung zu kommen, da fragen wir uns mit
Erstaunen, ob wir nicht in eine kleine europäische
Stadt versetzt sind, oder ob wir wirklich im I^ande
der Bibel uns befinden. Wie ein kleines Palais erhebt
sich das Gebäude der Administration mit grossen weit-
hin leuchtenden Fenstern und nicht weit davon die
stattliche Synagoge, im schönsten Teile des Dorfes
gelegen; und um den öffentlichen Garten, der in einigen
Jahren ein wundervoller Park sein wird, mit seinem
Springbrunnen etc., darf manche deutsche Kleinstadt
jenes palästinensische Dorf beneiden. So städtisch aber
die Mehrzahl der Häuser aussieht; wenn in der Abead-
stunde „der Rinder buntgestimte Schaaren brüllend in
die heimischen Ställe zurückkehren'' und Ackergerätscbaf-
ten durch alle Strassen gefahren werden, dann gewinnt
man rasch den Eindruck zurück auf einem Dorf zu sein.
. Sichron Jaacob ist eine der ältesten Kolonien; von
rumänischen Kolonisten ohne genügende Mittel und
ohne genügendes Verständnis der Landwirtschaft ge-
gründet und daher bald in grosse Not geraten, wurd^
66 durch das Eingreifen des Protektors aus d^ ti^tpn
Not gerettet. Er vergrösaerte die Ansiedelung durcji
Zukaiif passender Terrains und stellte die reic^ichAten
Mittel für die Anlage der Pflanzungen zur Verfügung.
7*
I
I
— 100 —
Jetzt umfasst das Dorf ein Terrain von ca. 22000 Du-
nam = 2000 Hectar mit ca. 200 Familien, wozu noch
die zahlreichen Angestellten des Protektors mit der
grossen Zahl der jüdischen und arabischen Arbeiter
kommen. Die jüdischen Arbeiter werden nach und
nach als Kolonisten in den Neuanlagen Scheweja, Em
el Gamal, Em el Tut und Tantura angesiedelt und an
ihre Stelle können so immer neue treten. Doch sind
auch die alten Kolonisten noch nicht alle selbstständig
und nach dieser Richtung bleibt noch viel zu wünschen
übrig. Ausser den jüdischen Arbeitern werden zu ge-
wissen Zeiten eine grosse Anzahl arabische Tagelöhner
gedungen, um bestimmte Arbeiten, besonders bei neue
Plantagen, auszuführen.
Gepflanzt sind in der Kolonie mehr als eine Million
Weinstöcke, grosse Maulbeer-Haine, die eine ausge-
dehnte Seidenzucht ermöglichen sollen, umfangreiche
Gärten von Fruchtbäumen, von denen bisher aber nur
die Mandel- und ein Teil der Olivenbäume Ertrag
liefern, ferner eine grosse Baumschule und umfangreiche
Eucalyptuswaldungen an verschiedenen Stellen der
Kolonie. Dazu kommen noch der Park und besonders
schöne Anlagen auf dein Friedhof, dem man die land-
schaftlich bestgelegenste Stelle der Kolonie angewiesen
hat. Während der Getreidebau sehr beschränkt ist,
treiben viele Kolonisten Bienenzucht, Gemüsebau und
— 101 -
andere landwirtschaftliche Nebenerwerbe. Ausser den
eigentlichen agrikulturellen Anlagen besitzt das Dorf
eine grosse Weinkelterei mit allen Nebenbetrieben,
Dampfmühle und eine Anzahl der verschiedensten Hand-
werker. Ein Kolonist betreibt eine Selterwasserfabrik,
ein anderer stellt Konserven, Mixed Pickles etc. her,
drei ziehen Nebeneinnahmen aus dem Betriebe kleiner
Hotels.
In gesundheitlicher Beziehung ist es jetzt viel besser
geworden, früher war Samaiin, wie Sichron Anfangs
hiess, wegen der hohen Sterblichkeit verrufen, aber
dann wurde eine Wasserleitung angelegt, die das ganze
Dorf mit gutem W^asser versorgt, die Strassen wurden
gut gepflastert, mit Alleen bepflanzt und damit die
lästige Staubentwickelung, die eine der Ursachen der
zahlreichen Augenentzündungen ist, wirksam bekämpft^
die Eucalyptuspflanzungen trugen das ihrige dazu bei,
die Fieberfälle zu verhüten und gegenwärtig ist Kranken-
und Sterblichkeitsziffer sehr gefallen. Die Kolonie hat
gemeinsam mit den kleinen Nachbarkolonien einen Arzt,
hat eigene Apotheke und ein gut eingerichtetes Spital
mit ca. 20 Betten. Als wir in Sichron waren, lagen
in diesem Spital nur 3 Kranke, von denen einer aus
Chedereh, zwei aus Sichron waren. Die weitaus meisten
Fälle von Fieber und Augenentzündung, den beiden
fast allein vorkommenden Krankheiten, verlaufen
— 1Ö2 -
Idcht Und gutartig und andere Krankheiten sind
sehr selten'
Alle Einrichtungen jüdischer Gemeinden, Synagoge,
Mik'wah etc. sind selbstverständlich vorhanden, ebenso
sind die Schulen im besten Zustande. Es existieren
eine Knabenschule, eine Mädchenschule und ein Kinder-
garten und es unterrichten insgesamt 4 Lehrer und
6 Lehrerinnen.
Eine besondere Besprechung verdient das Waren-
depot der Kolonie, der kleine Louvre genannt, wie
denü die ganze Kolonie im Volksmunde Klein-Paris
heisst. Wir besuchten dasselbe und waren erstaunt
über die grosse Zahl der Beamten in demselben, aber
nicht minder über die Reichhaltigkeit der Waren, die
in demselben zum Verkauf stehen. Von den einfachsten
Massenartikeln bis zu Luxusartikeln, die man in
Palästina und gar auf einem Dorfe in diesem weltent-
rückten Lande gewiss nicht zu finden erwarten Sollte,
kann man in diesem Magazin Waren jeder Art er-
halten. Kostbare Lampen, elegante Möbel, feine Stoffe,
selbst Schaukelstühle stehen friedlich neben den groben
Eisengeräten, die auf dem Felde gebraucht werden.
Von der Reichhaltigkeit der Auswahl ein kleines Bei-
spiel: Wir wollten etwas hektographieren und suchten
Plätten dazu zu kaufen; vergeblich bemühten wir uns
in Jaffa, in Jerusalem, in Haifa, nirgends S\^ar ein
— 103 —
Öektograph zu finden, endlich sagte man uns in letzterer
Stadt: „Wenn irgendwo in Palästina, ist er im Depot
in Sichron Jaacob zu finden." Richtig fanden wir hier
Aj)parate in verschiedener Ausfürung und korinten uns
etwas passendes auswählen.
Sichron Jaacob liegt zwar nicht auf der direkten
Route, welche die Touristen, die durch Palästina reisen,
einzuschlagen pflegen, seit aber die Kolonie einen
solchen Aufschwung genommen hat, ist die Zahl der
Rieisenden, die jedes Jahr kommen, um sich mit eigenen
Aligen die Umwandlung der Juden in Bauern anzu-
sehen, ständig gestiegen. Ihre Zahl erklärt es, dass
der doch immerhin kleine Ort drei Gasthäuser auf-
weist und die Fremdenführer durch Palästina nehmen
von der aufblühenden Kolonie in jeder neuen Auflage
sorgfältig Notiz.
Scheweja ist eine kleine Ansiedelung etwa eine
Stunde von Sichron, welche von ca. 30 Familien, fast
durchgehends ehemalige Arbeiter aus dieser Kolonie,
bewohnt wird. Em el Gamal ist ungefähr ebenso
gross, auf einem Hügel gelegen und sehr romantisch
anzusehen. Es zählt zur Zeit 28 Familien, wird aber
fortgesetzt vergrössert. In Em el Tut lebt nur eine
kleine Anzahl von jüdischen Ansiedlem, ca. 5 Familien.
Sehr vielversprechend war die Ansiedelung in Tantura
am Meer, der alten phönizischen Seestadt Dor oder
— 104 —
Nophat Dor, wo der bekannte Protektor eine Glasfabrik
einrichtete. Leider misslang der Verauch trotz aller
Bemühungen mid trotzdem die jüdischen Arbeitet sidi
sehr anstellig zeigten, da es nicht mbglich war, dem
Glas die gewünschte klare Farbe zu geben. Widir-
scheinlich taugt der Sand in Tantura nicht für diese
Fabrikation, Jetzt ist die Fabrik geschlossen, die
Administration aufgelöst und die einzelnen Arbeiter
erhalten sehr reichliche Entschädigung, sowie Reisegeld,
um sich im Ausland Arbeit in diesem Fache zu suchen.
Der Misserfolg ist um so mehr zu bedauern, als der
Konsum von Glas in Palästina in Folge der grossen
Weinkellereien ein bedeutender ist und man viele
jüdische Arbeiter hätte beschäftigen können. Vielleicht
entschliesst sich die Administration doch dazu, den
Versuch noch einmal zu wiederholen.
XUI.
Von Sichron Jaacob aus war unser nächstes Reise-
ziel das Städtchen Haifa, von wo aus wir in das gali-
läische Gebirge bis nach dem Jordan reisen wollten.
Unsere Gesellschaft war zahlreicher als bisher, denn
auch die drei Herren des Waad Hapoel hatten sich
uns angeschlossen, so dass wir im Ganzen 6 Personen
waren, wozu noch die Kutscher unserer beiden Wagen
kamen.
— lOS —
Sobald der Weg die Gemarkung von Sichroa ver-
läset wird er sofort wieder miserabel und man hat ein
recht scharfes Bild von der Unthätigkeit der Regierung
und der Eingeborenen, die die schöne Strasse kaum,
dass sie gebaut ist, sofort wieder verfallen lassen.
Wie sticht dagegen der Eifer und die Thatkraft der
jüdischen Kolonien und ihrer Administration abl Der
Weg geht bergab und zieht sieh durch Felsen, in
denen, offenbar künstlich angelegt, eine grössere An-
zahl kleinerer und grösserer Höhlen sich befinden, an-
scheinend die üeberbleibsel einer Nekroi^le. Dann
kommen wü' zu einer Menge von Ruinen auf niedrigen, fel>
sigen Hügeln dicht am Wege, die auf eine ziemlich grosse
Stadt schliessen lassen, vielleicht das ehemalige Dor,
die uralte Philisterstadt, kaum eine Viertelstunde von
dem Dörfchen Tantum und dem Meere entfernt. Audi
unsere Strasse nähert sich der Koste und läuft eine
Zeit lang neben derselben, während zur rechten Seit«
der Karmel die KUstenebene ziemlich einengt. In der
zehnten Morgenstunde ßlhrt ein grosser Dampfer an
uns vorbei, ein Lloydschiff, das von Haifa kommend
nach Jaffa steuert, sonst ist das Meer ruhig und un-
bewegt und die Brandung eine ganz geringe. Wie gut
könnten hier Seebäder angelegt wei-den, die gleichzeitig
das milde EUima Palästinas mit den Wirkungen der
See vereinigen könnten. Jetzt tauchen vor uns die
— 106 —
grauen verwitterten Mauern Atlits auf, jenes alten
Kastells der Kreuzfahrer, welches diese unter dem
Namen castellum per^rinorum errichtet und am längsten
nm allen Besitzungen im heiligen Lande behauptet
haben» bis sie 1291 auch dies den siegreichen Mameluken
überlassen raussten. Der Weg umgeht landeinwärts
die gewaltigen, noch in ihrem Verfall imponierenden.
Mauern der alten Festung, die auf einem in das Meer
vorspringenden Hügel lag. Die Mächtigkeit der dicken
Mauern wird für den Beschauer noch gesteigert durch
den Kontrast mit den elenden Lehmhütten des Araber-
dörfchens, das sich in der Kreuzfahrerburg eingenistet
hat. Sobald Atlit umgangen ist, führt die Strasse durch
einen engen Pass, in dem ebenfalls Ruinen, aber ganz
zerfallen, sichtbar sind, zur Küste zurück und bleibt
Äun bis Haifa fast immer an derselben. Rechts tritt
das Gebirge etwas zurück und die Küstenebene hat
eine Breite von 2—3 Kilometern. Allmälig verengt
sich die Ebene wieder, Berg und See rücken sich näher
und wir nähern uns bald dem Hügel Teil es Semeh,
der mit Ruinen bedeckt ist. Die Ebene war jetzt
schon viel stärker angebaut als weiter südlich und wir
freuen uns wieder bestellte Gretreidefelder zu sehen.
Nun biegt die bisher direkt nördlich gehende Küste
nach Osten um und die Strasse folgt der Küste und läuft
jetzt direkt am Abhang des Karmel, der dicht an das
— 107 —
Meer herantritt. Auf dem schönsten Punkte betimiet
sich das Kloster der Franziskaner hoch oben auf dem
Berge, während weiterhin die Grotte des Elias sichtbar
wird, in der der Prophet lange Zeit gelebt habea
soll. Der Berg Karmel sieht hier nicht sehr voiteil-
haft aus, er ist niedrig, ohne Baumwuchs, gelblich grau
und macht seinem Namen (Waldgebii^e) wenig Ehre;
Doch ist er landeinwärts besser bewaldet und beherbergt
erst dort zahlreiches Wild in seinen Schluchten und
Dickichten.
Abermals biegt der Weg um, diesmal nach 8Hd-
Osten und durchquert eine kleine Ebene um in wenigen
Minuten wieder an das Meer zu gelangen. Voi" uns
liegt die Bucht von Akka und wir geniesseu den
wundervollen Anblick nach Herzenslust. Dicht am
Meere, nur wenige Minuten noch entfernt liegt die
deutsche Kolonie der Templer, dann folgt das Stiidtclien
Haifa selbst, während gegenüber das malerische Bild
der Festung Akka sichtbar wird. Inmitten der Bucht
das Meer in tiefblauer Farbe, rings herum bald näher,
bald femer von der Küste, nirgends aber weit entfernt
grüne Hügel unterbrochen von Felspartieii und Sand-
flächen und im Hmtergrund die höheren Berge von
Galiläa. Es ist ein reizendes Bild, das an Natm-sehön-
heit dgm berühmten Golf von Neapel wenig nachgiebt,
aber freilich an diesem liegen Neapel nnd so viele
r-'
— 108 —
andere belebte Städte und seine Wogen sind durch-
furcht von zahllosen Dampfern, Seglern und Bootea,
während der Golf von Akka tot daliegt, nur wenige
Fischerboote sich auf den Wellen schaukeln und kaum
-ein- oder zweimal in der Woche der Pfiff des Dampfers
die Stille durchbricht. Und Haifa und Akka, wie ver-
möchten sie Neapel und Portici etc. ersetzen! So bleibt
die schönste Naturscenerie ungewürdigt, weil ihr das
belebende Element der menschlichen Thätigkeit heute
fehlt, während es einst das Meer und die Küsten mit
geräuschvollem Leben erfüllte.
Bevor man nach Haifa kommt, durchzieht man
•die Ansiedelung der Templer, die, obwohl sie fast alle nach
Palästina als Bauern gekommen, heut zum grössten
Teil Kaufleute sind. Der beste Teil des Handels in
dieser aufblühenden Stadt liegt in ihren Händen und
einige von ihnen sind zu grossem Wohlstande gelangt.
Der deutsche Vizekonsul hat sich eine Villa hingebaut,
der sich in dieser Umgebung kein Fürst zu schämen
brauchte. Die ganze Ansiedelung macht den Eindruck
behäbigen Wohlstandes, die Strassen sind gut und rein-
lich gehalten, bei jedem Hause ist ein Garten, die
Häuser selbst meist zweistöckig und oft fast luxuriös
gebaut. Die Templer bauten am Abhang des Karmel
Wein und führten ihn nach Europa aus, wo er viel
Anklang fand. Allein die Produktion reichte weder in
— 109 —
Quantität noch in Qualität aus und die Weinbauer
kaufen nun in Safed den von den dortigen Juden
bereiteten Wein, mischen ihn mit dem eigenen Gewächs
und führen so bedeutend mehr Karmelwein nach Eu-
ropa aus, als sie produzieren. Einige dieser Deutschen
machen auch Geldgeschäfte, nur wenige leben noch
von der Landwirtschaft oder vom Betriebe eines Hand-
Werkes. In Jaffa und Jerusalem ist es ähnlich und
wir haben hier die für den Westeuropäer seltsame Er-
scheinung, dass die Deutschen die Grosskaufleute, di&
Juden die Kleinkaufleute und Handwerker sind, dass^
demnach „die Deutschen", um den Ausdruck des anti-
semitischen Jargons zu gebrauchen, „es sind, welche
den Mittelstand, das heisst in diesem Falle d!e Juden
ausbeuten." So können gelsgentlich die Begriffe der
„Urgermanen" auch einmal gegen sie gewendet werden.
Haifa selbst ist ein kleines Städtchen ohne Sehens-
würdigkeiten, merkwürdig reinlich für den Orient und
infolgedessen gesund. Es zählt 7800 Einwohner^
darunter 810 Juden, 3250 Muhamedaner und '614:0
Christen. Von unseren Glaubensgenossen sind 650 Sö-
phardim, 160 Aschkenasim; sie haben drei kleine Syna-
gogen und eine vierte grössere ist im Bau, Die ÄUi-
ance unterhält zwei Schulen, eine Knabenschule mit
drei Klassen und ca. 80 Schülern, eine ilädchenschule
mii ca. 50 Kindern in zwei Klassen. Wir besuchten
— 110 —
beide Schulen und gewannen einen vorzüglichen Ein-
druck, zumal die Disziplin der Kinder war viel besser,
als dies sonst im Orient der Fall ist. Besojiders er-
freulich waren uns die voraüglichen Kenntnisse des
Hebräischen, welche eine in unserer Gegenwart vor-
genommene Prüfung offenbarte. Sehr interessant war
der Besuch der kleinen Weberei, welche Herr Usiel,
^er Direktor der Knabenschule, aus eigener Iniativ.e
lur seine Schüler eingerichtet hat. Ein Sephardi aus
Damaskus erteilt den Unterricht, die Werkzeuge sind
ganz primitiver Art und müssten europäische ange-
wendet werden; der Versuch ist aber höchst aner-
kennenswert, da gerade dieses Handwerk bisher von
Juden in Palästina nicht betrieben wird. Dasselbe
verspricht für die Zukunft viel Gutes und sollte auch
you Aussen her aufgemuntert werden. Leider verlässt
Herr üsiel die Schule, um die Leitung der ünterrichts-
anstaljb der Alliance in Damaskus zu übernehmen; aber
er scheint in Herrn Bachmani, den wir gleichfalls
kennen lernten, einen würdigen Nachfolger gefunden
zu haben.
Haifa ist als Hafen von Galiläa auch fUr die
judischen Kolonien in dieser Provinz von höchster
Wichtigkeit und soUte als solcher mehr von uns
Juden beachtet werden, als dies tbatsäcblleh der
Fall ist. !
— 111 —
XIV.
Der folgende Tag liess eine tüchtige Strapaze er-
i^arten, galt es doch Palästina, speziell Galiläa, von
Osten nach Westen zu durchqueren UBd von dem Ufer
der blauen See bis an die grünlichen Fluten des Jordan
zu gelangen. Nur der erste Teil des Weges ist Fahr-
weg, während der grösste Teil nur em schmaler Saum*-
pfad ist, der manchmal recht steil die galiläischen
Berge hinauf und hinunter führt. Wir brachen dess-
halb schon in früher Morgenstunde von Haifa auf, wo
wir in dem vortrefflichen Hotel Kralft, das einem
Templer, also einem Deutschen gehört, vortrefflich
logiert hatten und machten in zwei Wagen den ersten
Teil des Weges ab. Die Strasse führt ziemlich nahe
am Meere entlang, zuweilen dicht an demselben, ja an
manchen Stellen muss man direkt durch kleine Ein-
buchtungen des Meeres, die aber zur Zeit unschwer wl
übei'schreiten waren. Rechts ziehen sich zunächst die
Gärten von Haifa noch ein Stück entlang, um daas
einer ziemlich weiten sandigen £b»e Platz zu macheti,
deren eintöniges gelbliches Grau nicht allzu häufig mit
dem Grün kleiner Bafi^ostücke abwechsdit und nur
durch die grossen Dornensträucher mit ihrra langen
Stacheln ein wenig belebt wird. Dagegen weisen die
rechts den Hintergrund bildenden Höhen des Kamel
— 112 —
frische grOne Stellen auf den Abhängen und auf den
Gipfeln ziemlich umfangreiche Bewaldung auf. Eine
halbe Stunde hinter Haifa kommt man an die Mündung
eines ziemlich breiten aber flachen Flusses, lieber
denselben, es ist der Nähr el Mukatta, der Kison der
Bibel und einer der grössten Flüsse des Landes, führt
noch keine BrUcke, unsere Wagen müssen hindurch,
sie biegen jedoch plötzlich links ab und fahren in
schnellem Trabe direkt in das Meer hinein. Wir
stutzen: sind die Pferde scheu geworden, oder der
Kutscher verrückt? Aber unsere Reisegefährten können
uns aufklären und beruhigen. An einer flachen Stelle,
wo das Wasser den Pferden kaum bis an den Bauch
geht, schwenken die Wagen wieder um, erreichen rasch
das Land und haben so den gefürchteten Kison um-
gangen, der an seiner Mündung selbst um diese Zeit
schwer zu passieren ist. Weiter geht der Weg immer
an der Küste entlang, die hier nach Norden umbiegt,
rechts hinter uns bleiben die Berge des Karmel zurück
und die Ebene erweitert sich und wir blicken auf die
lieblichen Berge Galiläas, deren Umrisse sich deutlich
am Horizont abheben. Das Land ist gut, aber wenig
angebaut, und zeigt nur ganz vereinzelt einige Oliven-
bäume, erst als wir uns der Stadt Acco näherten, sahen
wir reiche Gärten voll der verschiedensten Frucht-
bäume, die sich ziemlich weit die Strasse entlang und
i
— 113 —
tiefer in das Land ziehen und deren schöner Zustand
uns angenehm auffiel. Wir erfuhren, dass hier
sektirerische Perser ansässig sind, denen die Anlage
dieser wundervollen Obstgärten zu verdanken ist. Vor
uns lag Acco, in seiner altertümlichen Bauart an seine
Geschichte mahnend. Vor uns stiegen die Gestalten
der Kreuzfahrer auf, die von hier aus so lange den
Sarazenen trotzten, und immer von neuem in das heilige
Land einbrachen, bis 1291 Sultan Melik el Aschraf
von Egypten die starke Feste den Christen für immer
entriss. Wir überschritten oder vielmehr durchfuhren
ohne Brücke einen Fluss ähnlich dem Kison, doch er-^
schreckte es uns jetzt nicht mehr, als abermals unsere
Wagen sich in das Meer hinaus wagten, um eine Furt
zu suchen. Es war der Nähr Naaman, der Belus der
Alten, jener Fluss, auf dessen Ufer der Sage nach der
phönizische Seefahrer das Glas erfand. Von diesem
Uebergang ab verlässt die Strasse nach dem Jordan
die Küste, um sich ostwärts zu wenden, und wir
mussten mit Bedauern darauf verzichten Acco, dessen
Aeusseres einen solchen Reiz auf uns ausübte, näher
kennen zu lernen. Man tröstete uns freilich mit der
Versicherung, dass Acco, die moderne Stadt, denn von
der alten resp. mittelalterlichen Festung ist wenig mehr
übrig, ein verfallendes Nest sei, dem man wenig Inter-
esse abgewinnen könne. Glaubensgenossen wohnen
8
— 114 —
dort zur Zeit nur 215, da sich der Handel ganz nach
dem aufblühenden Haifa gezogen hat, das einen besseren
Hafen besitzt.
Von der Küste an führt der Fahrweg ziemlich
direkt ostwärts in die Vorberge des galiläischen Ge-
birgslandes hinein. Noch ist die Strasse IV» Stunden
lang fahrbar, aber sie wird immer schlechter und sobald,
man in das eigentliche Gebirge kommt, ist sie ganz
zu Ende. Nun heisst es hinaus aus dem schönen be-
quemen Wagen und hmauf auf die Pferde. Das Ende
der Strasse bezeichnet ein grosser alleinstehender Baum,
eine Platane, wonach man diese Stelle „Station Baum*
genannt hat. Unter diesem Namen wird die Station
von jedem Pferdeverleiher im Lande und jedem Mukari,
das ist Maultiertreiber, gekannt. Wir waren bei unserer
Ankunft zunächst gezwungen unter dem Baume vor
einem heftigen Regenguss Schutz zu suchen und abzu-
warten, bis der kurze aber ausgiebige Guss vorbei
war. Es war der erste Regen, den wir im heiligen
Lande hatten, und er gab uns sofort ein Vorspiel von
dem, was derselbe in Palästina bedeutet. Das trübe
Wetter, auch nachdem der Guss vorbei war, kündigte
uns für den Rest des Tages noch einige ähnliche
Schauer an und wir hüllten uns nach Möglichkeit
in unsere Mäntel ein und bewaffneten uns mit
Schirmen. Wir sollten indessen bald erfahren,
— 115 —
yfie nutzlos alle diese Vorsichtsmassregeln sind.
Zunächst ging es an die Organisation der Karawane,
ivobei für uns beide Berliner, die, Dr. Löwe fast
noch nie, ich selbst Oberhaupt noch nie auf dem Rücken
eines Pferdes gesessen hatten, die sanftesten Tiere
ausgesucht wurden. Glücklicher Weise sind die ara-
biscÄea Pferde sehr gut dressiert und auch fdr. unge-
übte Reiter ohne Mühe zu besteigen und zu leiten,
dennoch ist es natürlich nicht leicht so völlig ungeübte
Reiter erst einmal zu festem Sitz zu bringen. Endlich
i^ar auch dies überstanden und die Karawane begann
ihren Marsch. Unsere Kavalkade bestand aus sechs
JReisenden, nämlich den drei Herren des Waad Hapoel
in Jaffa: Dr. Joffe, Agronom Kaisermann und Schrift-
steller Eisenstadt, dann Herr Agronom Margulies
Kalvarisky und wir beide Berliner. Ausserdem waren
"bei dem Zuge noch 2 Chajale und 2 Maultiertreiber,
«owie der arabische Pferdevermieter, der neben seinen
Tieren herlief. Die beiden Maultiere waren natürlich
für das Grepäck, die beiden Chajale sind bewaffnete
Begleiter, die gleichzeitig Führer und Beschützer sind.
Gewöhnlich nimmt man dazu Araber, aber in neuerer
Zeit giebt es eine ganze Menge von Juden, die dasselbe
Sandwerk treiben und die sich eines ausgezeichneten
Rufes als Chajal erfreuen. Sie wissen sehr genau
Bescheid, kennen Weg und Steg, verstehen im Notfall
8*
— 116 —
ihre Waffen sehr gut zu gebrauchen und gewähren dem
Reisenden ebenso sicheren Schutz, als dies irgend einer
der Beduinen kann. Auch unseren Zug begleiteten
zwei solcher jüdischen Chajale, von denen der eine^
JOdel aus Sichron Jaacob, ein junger Bursch von noch
nicht zwanzig Jahren, eine besonders anziehende Figur
macht.
Endlich beginnt der Marsch, anfangs im langsamsten?
Tempo mit Rücksicht auf uns ungeübte Reiter, die
erst sicher werden sollten auf den zahmen Pferden,.
Allmählich ging es dann schneller und schliesslich gaben,
uns einige der Reisegefährten, Dr. Joffe, Margules, und
Jüdel ihre Reiterkunststücke zum Besten. Dr. Löwe*»
Pferd, von edlem Wetteifer durchdrungen, fing auch an
zu galoppieren, aber der Reiter wollte nicht mit, er
zog vor sich an einer Stelle, wo der Boden recht weicL
war, auszuruhen, mit andern W^orten, er fiel vom Pferde-
und dieses ging durch. Nachdem es von Jüdel wieder
eingefangen war, wurden die Herren vorsichtiger, Dr-
Löwe bekam ein sanfteres Tier und der Ritt ging imi
langsameren Tempo weiter.
Das Land, durch das unser Weg führt, ist ein*
Gebirgsterrain, langgestreckte Höhenzüge, welche voa
ziemlich breiten Thälem durchschnitten werden. Alles-
prangt in saftigem Grün, allerdings ist nur sehr wenig
Wa;ld vorhanden und nur selten trifft das Auge plan-
— 117 —
massig angebaute Fluren; aber der Boden ist auf dem
ganzen Gebiete vorzüglich, in den Thälem, wie unsere
Agronomen erklärten, für Getreide erster Qualität, auf
den Bergen zu Anpflanzungen von Wein, Palmen,
Maulbeer- und besonders Olivenbäumen ausserordentlich
geeignet. Selbst der Teil der Berge, der uns steinig
erschien, hatte zwischen den Steinen noch immer so
viel fmchtbare Bodenkrume, dass Oliven gut fortkommen.
Die Umgebung der arabischen Dörfer, welche nicht
mit Rücksicht auf den Boden und seine Fruchtbarkeit,
«ondem, um ganz modern zu reden, nach strategischen
Gesichtspunkten angelegt sind, d. h. an Stellen, wo sie
am leichtesten verteidigt werden können, beweist dies
ebenso, wie die jüdischen Kolonisten, die den steinigen
Boden vorzüglich nutzbar zu machen wissen. Auch
jetzt deckt die nicht angebauten Fluren bis zu den
öipfeln der Berge hinauf grünes Unkraut, dass eine
erstaunliche Höhe erreicht und in den Ebenen häufig
-SO hoch emporschiesst, dass der Reiter auf dem Pferde
völlig darin verschwindet. Wer im Süden Palästina's
noch vielleicht an der Fruchtbarkeit des heiligen Landes
zweifeln konnte, muss, wenn er den Norden, Galiläa
kennen lernt, den letzten Rest seiner Skepsis aufgeben.
N^ordpalästina kann sich in Bezug auf seine Frucht-
barkeit mit jedem Lande der Welt messen, umsomehr,
da es reichlich Quellen und Brunnen besitzt. Land^
— 118 —
scbaftlicb ist diese Gegend grossartig; die grünen
fiergo erbeben sieb an beiden Seiten des Thaies zu
imposanter HObe, und häufig öffnen sich Blicke in
reizende Nebenthäler. Steigt unser Weg in die Höhe
auf den Gipfel eines der Berge, so bietet sich eine
entzückende Fernsicht, auf das mittelländische Meer,
auf die Berge von Galiläa ringsum, nach Südosten hin
das Meer von Tiberias und fernhin im Nordosten der
gewaltige Gipfel des Hermon, mit seiner Schneekuppe
in die Wolken reichend. Und dazu das erhebende
Bewusstsein, auf einem Boden zu stehen, welcher den
Schauplatz der gewaltigsten Ereignisse unserer Ge-
schichte gebildet hat. AUerdhigs beschleicht auch ein
Gefühl der Wehmut unser Herz, wenn sich uns die
Wahrnehmung aufdrängt, dass dieses blühende Land,
in dessen 15000 Orten, von denen Josephus erzählt,
einst reges Leben pulsierte, jene reiche Kulturblüte,
von der noch heute zahllose Ruinen, gewaltige Mauern,
welche zur Terrassenkultur dienten, so beredt erzählen,
heute fast menschenöde ist und seine einstige Fruchtbar-
keit nur in wild wachsendem Gras und Unkraut erweist-
Man reitet weite Strecken, ohne einem Dorfe, ja auch
nur einem Menschen zu begegnen; eintönige Stille
liegt über den entzückenden, gesegneten Fluren —
wie ganz anders, wären es noch die Hände der Juden,
welche sie bebauten! Ich muss darauf verzichten, die
— 119 —
Gefühle zu schildern, die mich und ich darf sagen, uns
alle bewegten ; wenn ich mir je die Gabe des Dichters
wünschte, so geschah es angesichts Jerusalems und
in Galiläa. Nur ein gottbegnadeter Dichter kann die
Empfindungen und Gedanken wiedergeben, welche diese
Stätten in jeden denkenden und fühlenden Menschen
und nun gar erst im Juden erwecken müssen I
Nach zweistündigem langsamen Eeiten hielten wir
in dem Chan von Mesched el-Kerum, einem grossen
arabischen Dorfe, dem ersten seit Acco, Rast, zur Er-
holung und zum Einnehmen des Mittagessens. Hier
trafen wir zwei Herren der Administration, Herrn
Wormser, Unter-Administrator von Rosch Pinah, der
zu seiner Hochzeit nach Sichron Jaacob reiste, und
den Gärtner von Ain Setün, Herrn Gold. Es ent-
wickelte sich nun ein fröhUches Treiben; beide Gesell-
schaften packten aus, was sie an Speisen mitgebracht
hatten, ein Picknick war bald im Gange, und wir be-
dauerten es lebhaft, schon nach einer Stunde uns wieder
trennen zu müssen. Diesmal sollte der Ritt nicht mehr
so angenehm bleiben. Wir mussten, um die verlorene
Zeit wieder einzubringen, schneller reiten, was uns
recht schwer fiel, und, um die Annehmlichkeit voll zu
machen, gmg ein lange drohender Gewitterregen nieder.
Dieser Regen war, obwohl Frühregen, von solcher
Heftigkeit, wie bei uns nur die Wolkenbrüche, während
— 120 —
dio Einheimischen versicherten, in Palästina seien in
der Regenzeit solche Güsse sehr häufig. Nachdem das
Unwetter eine Stunde gedauert hatte, waren wir total
durchnässt und in einer Verfassung:, die sich schwer
beschreiben lässt, wenn man noch ästhetisch bleiben
will; diesmal gilt der Ausdruck „bis auf die Haut durch-
nässt" buchstäblich. Indessen gab es weit und breit
kein Obdach, wir mussten voran, und weiter ging es
an dem arabischen Dorfe Er Räme vorbei, welches
malerisch auf einen Hügel liegt, dann, nach kurzer
Rast an einer schönen klaren Quelle Ain Ferudh, in
die Berge von Safed hinein. Die arabischen Pferde
sind tüchtige Kletterer, aber auf diesem Pfade gewannen
sie uns bewundernde Achtung ab; sie gehen an Stellen,
wo der Mensch kaum noch einen Halt findet, mit einer
Sicherheit, als wären sie verkleidete Gemsen, und gar
sehr unähnlich ihren Vettern im Abendland steigen sie
sogar mit grosser Gewandheit schlüpfrige Steintreppen
bergauf und bergab. Nicht ein einziges unserer Pferde
stürzte bei dem gefährlichen Ritt, trotzdem der Regen
den Weg aufgeweicht und andererseits die Steine glatt
gemacht hatte.
Um 7 Uhr gelangten wir endlich nach Ain-Setün
und beschlossen, da wir wie unsere Pferde völlig er-
müdet waren, hier zu übernachten und erst am anderen
Morgen den Ritt nach Rosch Pinah, das noch iVt Stunde
— 121 —
weiter liegt, fortzuseteen. Die Kolonie Ain-Setün ge-
hört der Genossenschaft Dorsche Zion in Minsk, wurde
aber im vorigen Jahre der Administration übergeben.
In derselben befinden sich jetzt nur 3 Häuser, und es
leben hier zur Zeit nur der Gärtner Herr Gold und
etwa 20 jüdische Arbeiter, sowie eine Anzahl Araber»
Der Verwalter, Herr Schub wohnt in. dem nur eine
halbe Stunde entfernten Safed. Die früheren grossen
Anpflanzungen haben sich zum Teil als unbrauchbar
erwiesen und müssen erneuert werden, doch sind immer-
hin noch 200000 Reben in gutem Zustande. Die Unter-
bringung so vieler Personen machte in Ain-Setün nicht
unerhebliche Schwierigkeiten, um so grössere, da der
einzige dort wohnende Beamte, Herr Gold, verreist und
«ein Haus von Herrn Pascal, dem Obergärtner von
Bosch Pinah, der einige Stunden vor uns angekommen war,
mit Beschlag belegt war. Indessen wurde Herr Schub
;aus Safed geholt und die Sache, so gut es ging, ein-
;gerichtet. Wir schliefen zu viert in einem Zimmer,
der eine auf dem Tisch, der andere auf fünf nebenein-
ander gestellten Stühlen, der dritte auf einem Brett,
•das man über zwei Böcke gelegt hatte; nur ich genoss
den unverdienten Vorzug, in das einzig vorhandene Bett
zu kommen. Die Anstrengungen des Tages waren aber
fio grosse gewesen, dass wir alle, trotz der merkwürdigen
Uuhestätten, uns eines kräftigen Schlafes erfreuten.
— 122 —
XV.
Xeugestärkt brachen wir am folgenden Morgea
nach Rosch Pinah auf, wo wir nach eineinhalbstUndigem,
genussreichem Ritt über den Dschebel Safäd, das Ge-
birge Naphtali der Bibel, anlangten und angenehm
überrascht waren, zu finden, dass Herr Ossowetzky^
der energische, thatkräftige Administrator dieser und
der umliegenden Kolonien, in liebenswürdiger Weis&
für unsere Aufnahme gesorgt hatte. Wir restaurierten
uns und benutzten dann die drei nächsten Tage, um
die Kolonien zu besichtigen. Besonders nahm Mischmar
Hajarden, das Schmerzenskind der Chawawe Zion unsere
Aufmerksamkeit in Anspruch, und während wir bei
Tage unter Assistenz des Herrn Pascal die jüdischen
Dörfer besichtigten, waren die Abende lang andauernden
Konferenzen gewidmet, um einen Plan ausfindig zu
machen, wie den Insassen dieser Kolonie gründlich und
doch mit möglichst geringen Kosten zu helfen wäre^
Mischmar Hajarden liegt, wie schon der Name
besagt, dicht am Jordan, an der Stelle, wo eme viel
begangene Karawanenstrasse über die Brücke Dschisr
benät Jaküb, durch das Hochland von Dscholän und
Haurän nach Damaskus führt. Die Lage hat viele
Vorteile, aber auch viele Nachteile; das Areal am
Jordan hat Wasser genug, während das höher gelegene^
— 123 —
«iieses notwendigsten aller Kulturcrfordernisse entbehrte
Der Jordan strömt in einer tiefen Schlucht und das
allmählich ca. 70 Meter ansteigende höhere Terraini
hat merkwürdiger Weise keinen Brunnen, ja selbst bis
22 Meter tief geführte Bohrungen ergaben kein Wasser.
So wird nichts anderes übrig bleiben, als mit einem
Hebeapparat das Wasser aus dem Jordan oder einend
dicht bei ihm gelegenen Brunnen diese 70 Meter zu
heben ; denn der jetzige Zustand, bei dem die Kolonisten»,
das Wasser hinauftragen müssen, ist auf die Dauer
unhaltbar. Auch das Klima lässt zu wünschen übrig,
doch haben die ziemlich häufigen Erkrankungen in-
Mischmar unzweifelhaft zu einem guten Teil ihre Ur-
sache in der schlechten Nahrung und zum Teil in den;
noch schlechteren Wohnungen. Die Kolonie wurde im
Jahre 1890 durch Herrn Schub gegründet, der seiner-
zeit (i. J. 1882) auch Eosch Pinah für die rumänische
Genossenschaft angekauft hatte. Er erwarb das TerraiiL
von einem Herrn Lubowsky, Kolonisten in Jessud
Hamaalob, auf Abzahlungen und scbloss mit demselben
einen Kontrakt, welcher für den Verkäufer sehr günstig,
für den Käufer und mithin für die Kolonisten aber
sehr ungeschickt abgefasst war und dalipi* für diese
eine Quelle von Leiden und Sorgen wurde. Die ver-
einbarten Abzahlungen konnten nicht innegehall
werden, der Buchstabe des Kontraktes liesagt nun,
— 124 —
alle bisherigen Zahlungen verfallen sind und das Terrain
mit allen inzwischen gemachten Bauten, Anlagen etc.
-an Lubowsky zurückgeht. Der Buchstabe giebt diesem
4as juridische Recht, sofortige Zahlung des ganzen
Betrages zu fordern, widrigenfalls er das gesamte Land,
welches durch die Bearbeitung und die Häuser, die
inzwischen auf demselben erbaut sind, natürUch an Wert
gewonnen hat, dritten Personen, eventuell Arabern,
verkaufen könne. Man wird dieses Vorgehen moralisch
vielleicht verwerfen, der Wortlaut des Kontraktes giebt
dem Manne aber leider das Recht dazu. Die Kolo-
nisten, welche einzeln das Land von Herrn Schub er-
warben, waren zum Teil ganz ohne eigene Mittel, zum
'Teil besassen sie nicht vollständig die nötigen Summen ;
die Gelder, welche der „Esra" und das Odessaer
Komitee den Ansiedlern zukommen Hessen, gingen
-tropfenweise ein und halfen immer nur der dringendsten
isTot ab, und so kam es, dass die Kolonisten, nachdem
in die Weingärten und besonders in den Bau von
dreizehn Stein-Häusern ein erhebliches Kapital investirt
ivar, nichts mehr zum Leben hatten. Sie mussten da-
ier, um sich und ihre Familien erhalten zu können,
in den Nachbarkolonien Rosch Pinah und Jessud
Hamaaloh auf Tagelohn arbeiten. Dabei war es nur
Wenigen möglich, ihre Pflanzungen in Ordnung zu
Jialten, und so ergab die genaue Untersuchung, welche
— 125 —
jetzt unsere Agronomen vornahmen, dass von 15*!2Hectary
die seinerzeit angepflanzt waren, nur 7 noch brauchbar
sind. Auch die bei jedem Hause ursprünglich ange-
legten Gemüsegärten sind zum Teil verwildert und
müssen neu in Ordnung gebracht werden. Ausser deiv
dreizehn Steinhäusern sind noch einige Rohrhütten vor*
banden, auch die Ställe bestehen aus Wänden, die von
Rohr und Oleanderholz geflochten sind und mit Kalk
beworfen werden, und sind mit alten Petroleumblecheni
etc. gedeckt. Die Kolonie hat nicht unbedeutenden
Viehstand; im Durchschnitt besitzt jeder Kolonist
2—3 Kühe und ein oder zwei Kälber, manche auch
Esel. Es war noch erheblich mehr Vieh vorhanden^^
aber bei der Rinderpest, welche im Frühjahr hier wie
in ganz Palästma herrschte, gingen die so schlecht
eingestallten Tiere in Mischmar zur Hälfte zu GrundCr
Auf Kosten der Chawawe Zion wird eine kleine Apo-
l.heke und em Feldscheer erhalten, auch ein Schochet
ist angestellt, und ein Kolonist hält für die Kinder ei»
„Cheder." Im Ganzen leben in der Kolonie 23 Fa-^
milien mit ca. 100 Seelen. Man muss anerkennen, dasSr
die Leute viel Ausdauer und Arbeitseifer gezeigt haben,
genügsam sind und von dem Arbeitslohn leben, den zu
verdienen sie 1 bis 2 Stunden weit gehen müssen.
Derselbe beträgt durchschnittlich 1 — 1,20 Mk. pro Tag,
was für . die bescheidenen. Bedürfnisse der Ansiedler
_ 126 —
Tiel bedeutet, da sie eme kteine Hülfe aus dem Ertrage
Ton Milch, Eiern etc. haben. Das Terrain betrug ur-
-sprthiglich ca. 3000 Dunam, durch einen I^ros^ess mit
.arabischen Nachbarn ging aber ein Stück von etwa
800 Dunam verloren; die Vermessung war zuerst auch
:fiicht genau, so dass der jetzige Besitz eine Ausdehnung
von 2531 Dunam = 230 Hectar hat. Für die gegen-
wärtigen Ansiedler ist das Terrain nicht gross genug,
fmd man wird bald daran zu denken haben, später noch
Land zuzukaufen, was um so leichter ist, als der Nach-
ibar von zwei Seiten jetzt der bekannte Protector ist.
Der von uns Allen ausgearbeitete Plan, welcher
«eine Hauptschwierigkeit in der Ordnung der ver-
^wickelten Besitzverhältnisse hatte, gipfelt, ohne in
Details einzugehen, darin, dass erstens die noch fehlenden
Häuser erbaut werden müssen, ferner ca. 2 Hektar
Maulbeer-Pflanzungen pro Familie zur Seidenzucht an-
gelegt, dann die Gemüsegärten und der noch braueh-
j33are Teil der Weingärten neu hergerichtet und der
Rest des Landes zum eigentlichen Ackerbau urbar
,:gemacht werden soll. 500 Dunam Landes, welche
zum Getreidebau untaugUch sind, sollen allmählich für
Olivenpflanzungeu beuuzt werden; endlich wird am
Jordan selbst ein Obstbaumgarten anzulegen und, um
4as Klima zu verbessern, im Dorfe Eucalyptus anzu-
3)flanzen sein. Diese unabweisliche Reorganisation wird
M«ie«ifltjj jBjfi
^'Mi
— 127 —
grosse Summen erfordern, aber es lässt sich hoffen,
dass, wenn die Mittel zu derselben ausreichend vorhanden
sind, die Kolonisten dauernd sichergestellt sein werden.
Ich zweifle nicht daran, dass die Chawawe Zion aller
Länder, besonders die Vereine, dem demnächst für
Mischmar Hajarden an sie ergehenden Aufrufe gern
Polge leisten werden.
XVI.
«
Rosch Pinah ist eine der ältesten Kolonien; sie
wurde bereits 1882 gegründet und auch frühzeitig vom
Protektor übernommen. Dieser Thatsache ist das Ge-
deihen der Kolonie in erster Linie zuzuschreiben, aber
auch dem Eifer der Kolonisten selbst, welche wirkliche
Bauern sind. Das Dorf hat ein Terrain von ca.
7000 Dunam = 640 Hektar und zählt emschliesslich
der Beamten, Arbeiter etc. 80 Familien mit ca. 500
Seelen. Es sind grosse Weinberge angelegt, nahezu
100 Hektar, sodass jeder Kolonist 2 Hektar besitzt,
deren Trauben von einer den Malaga-Beeren ähnlichen
Sorte sich gleichmässig zur Herstellung von Bosinen
wie von süssem Wein eignen. Femer ist eine grosse
Anlage von Maulbeerbäumen vorhanden, ca. 80000 Stück,
welche für die Seidenzucht benutzt werden, dann
Mandel- und andere Fruchtbäume. Auch die zur Ver-
besserung des Klimas nützlichen Eucalypten sind nicht
- 128 —
vergessen und alle Felder und Pflanzungen mit Mimosen-
hecken umgeben, deren sehr fein duftende BiUten zur
Essenzenfabrikation nach Jessud Hamaaloh überführt
werden. Die Kolonisten besitzen durchwegs steinerne
Häuser, im Ganzen einige 60, welche sämtlich mit
Ställen versehen smd, denn die Viehzucht ist nicht un-
bedeutend, und mit Stolz weisen die Kolonisten auf die
selbstgezUchteten Tiere, Pferde, Esel, Rinder etc., hin.
Vor jedem Hause ist em Blumengarten angelegt worden,
den freilich manche Kolonisten haben verfallen lassen;
dafür aber halten sie den hinter dem Hause belegenen
Gemüse- und Obstgarten um so besser in Ordnung^
Em kleiner Dorfpark mit schattigen Bäumen ist in
prächtiger Entwickelung. Das Klima ist sehr gesund,.
Erkrankungen sind ausser ganz leichten Fieberfällen
äusserst selten, und der Arzt der Kolonie versicherte
mir, dass auf dem Friedhofe, der höchst malerisch eine
Viertelstunde vom Dorfe auf der halben Höhe eines
benachbarten Berges gelegen ist, nur ganz alte Leute
und ganz junge Kinder begraben sind. Das Wasser,
Welches in einer Leitung aus einer benachbarten kräftigen
Quelle herbeigeführt wird, ist selbst in der trockenen
Jahreszeit im Ueberfluss vorhanden und von vorzüg-
licher Qualität. Selbstverständlich sind sämmtliche An-
stalten einer jüdischen Gemeinde vorhanden und in
bestem Zustande; Arzt, Apotheker, Feldscheer und 6ine
— 129 —
gute Badeanstalt sorgen für die leibliche Gesundheit
der Kolonisten, während eine Schule mit mehreren
Lehrern und einer Lehrerin für das geistige Wohl
sorgt. Dass ein Schochet angestellt ist, braucht nicht
erst erwähnt zu werden, aber auch ein Eabbiner ist
im Dorfe und die Synagoge, obgleich ganz einfach, ist
eine würdige Andachtsstätte. Dieselbe hat einen be-
sonderen, sehr sinnigen Schmuck in der Malerei der
Decke, welche in blauen und weissen Farben ein Bild
des Himmelsgewölbes darstellt.
Die Kolonie ist der Mittelpunkt der Seiden-Industrie,
welche in den jüdischen Dörfern in erfreulicher Ent-
wickeluhg gedeiht. Hier ist zunächst eine Seidenfilir-
anstalt angelegt, wo die Kokons zu Rohseide verarbeitet
werden. Der Betrieb erfolgt mit Dampfkraft, wozu
eine Maschine von 4 und ein starker Kessel von
20 Pferdekräften vorhanden sind. Als Arbeiter werden
junge Leute aus Safed benutzt, von denen ständig ca.
50 beschäftigt sind. Es ist nicht leicht, diese so regel-
mässiger Arbeit ungewohnten Elemente dazu zu er-
ziehen, doch ist ein Stamm bereits herangebildet, und
das Etablissement macht Dank den unablässigen Be-
mühungen seines Direktors Rosen kräftige Fortschritte.
Bei vollem Betrieb werden 35000 Kilo Kokons kon-
sumiert, während bisher alle jüdischen Dörfer zu-
sammen nur 900 Kilo pro Jahr produzieren, die Seiden-
9
— 130 —
zucht also noch grosser Ausdehnung fähig ist. Später
soll eine Zwirnerei und Färberei angelegt werden und
dann die Seidenweberei als Hausindustrie in Safedund
den Kolonien eingerichtet werden; doch müssen noch
einige Jahre vergehen, bis dies möglich sein wird.
Die Lage von Bosch Pinah ist sehr schön; vom
Marktplatze und den Häusern der Verwaltung aus
Übersieht man die ganze Jordanebene zwischen dem
Hulehsee und dem See von Tiberias, das erste Wasser-
becken ganz, das letztere zum Teil. Auf der West-
seite triflFt der Blick die Berge von Safed mit ihren
romantischen Felsgebilden, nach Osten und Norden das
Hochland von Dscholän, dahinter den gewaltigen Hermon
und weiter nördlich die weissschimmemden Kuppen des
Libanon. Das Dorf selbst, welches am Abhänge des
Berges Geoni liegt, macht mit seinen fast nur ein-
stöckigen Häusern einen sehr günstigen, durchaus
ländlichen Eindruck; sehr sauber und freundlich ge-
halten, darf es eine Perle der bisherigen Kolonisation
genannt werden. Es herrscht hier, wie in. der ganzen
Gegend, was besonders hervorgehoben zu werden ver-
dient, ein frischer, lebendiger, thatkräftiger Geist unter
den Kolonisten sowohl, als auch bei der Verwaltung,
welche sich übrigens in bester Harmonie befinden.
Die Tage unseres Aufenthalts in Bosch Pinah zählten
deshalb zu den erfreulichsten unserer ganzen Beise,
— 131 —
zumal Herr Ossawetzky uns eine ganz ausserordentliche
liebenswlirdigo Gastfreundschaft erwies.
XVIl.
Jessud Hamaaloh liegt ziemlich tief an dem nied-
■rigen Ufer des Hulehsees, der bekanntlich nur 2 Meter
ober dem Meeresspiegel belegen ist. Es ist ein reizender
Platz mit vorzüglichem Boden, dessen Produktionsfähig-
ieit die Schöpfer der kleinen Kolonie, welche sich im
Jahre 1883 hier niederliessen, es danken, dass sie un-
glaublichen Schwierigkeiten zum Trotz sich behaupten
ionnten. Seit 1887 besserte sich ihre Lage allmählich;
«ie erhielten vom Komitee in Odessa und vom Verein
^Esra" Geldunterstützung, dann Summen zum Viehkauf
und schliesslich zum Bau einiger Häuser. Im Jahre
1890 nahm der hochherzige Protektor auch diese Kolonie
•unter seinen Schutz. Die Ansiedler gaben den bisher
betriebenen Ackerbau auf, um riesige Gartenanlagen für
■die Erzeugung von Blumen zu schaffen, welche zur
Fabrikation ätherischer Oele, Essenzen, Parfüme etc.
verwendet werden sollen. Es werden gebaut Rosen,
Mimosen, Tuberosen, Jasmin, Geranium, wilde Orangen,
Aprikosen etc.; eine ausgedehnte Baumschule versieht
Aie ganzen Kolonien von Ober-Galiläa mit Schösslingen
«der verschiedensten Baumarten. Die ganze grossartige
Anlage wird durch künstliche Bewässerung betiieben,
9*
— 132 —
wozu das Wasser aus dem Hulehsee auf die ver-
schiedeBste Art, durch Wind-, Dampf-, Pferde- und
Wasserkraft, gewomien wird. Die Blamen werden in
einer eigens dazu errichteten Fabrik verarbeitet und
zwar zunächst nur zu Essenzen resp. Pomaden, welch»
nach Europa exportiert werden. In der kommenden
Saison werden auch vollständige ParfQme hergestellt
werden, nachdem bereits jetzt gelungene Versuche mit
Eau de Cologne gemacht wurden. Die Kolonie um-*^
fasst 4000 Dunam = 360 Hektar und beherbergt 30
Familien mit 140 Seelen. Die Kolonisten haben ausser
den grossen Gartenanlagen und der Baumschule noch
Maulbeerplantagen, treiben etwas Viehzucht, sowie
Fischfang im Hulehsee und besitzen ein kleines Boot,
das auf dem See verkehrt. Für alle Gemeindebedürf-
nisse, für Unterricht, Apotheke etc. ist ausreichend
gesorgt, wie die Kolonie überhaupt den Eindruck eine»
kleinen, aber gut gedeihenden Dorfes macht. In den
grossen Anlagen arbeiten viele Leute aus Mischmar
Hajarden als Tagelöhner.
XVIII.
Das weitere Ziel unserer Reise sollte eigentlich
der Haurän und Damaskus bilden, aber aus ver-
schiedenen Gründen, deren Auseinandersetzung hier zu
weit führen dürfte, unter denen indessen Mangel an
— 133 —
Zeit die Hauptrolle spielte, mussten wir von diesem
Plane abstehen, zumal uns die Nachricht erreichte,
dass in Damaskus Cholera sei und in Folge dessen
•Quarantäne eingerichtet werden würde. Wir begnügten
uns daher, über die Brücke Dschisr benät Jaküb den
Jordan zu überschreiten, um auch im Ostjordan-
lande gewesen zu sein, und dachten dann an die
Eückreise. Wir wählten die Route Tiberias, Nazareth,
Haifa, zuvor aber wollten wir uns doch Safed
ansehen. Wir machten uns dahin zu Fuss auf, einen
näheren, aber sehr steilen Weg über die Berge ein-
schlagend, der nur eine Stunde in Anspruch nahm,
während man sonst die Entfernung zwischen Safed und
Rosch Pinah auf iVa Stunde bemisst.
Safed, eine frühere Festung, besitzt noch heute
eine Citadelle, welche aber keine Bedeutung mehr hat,
und ausserhalb derselben vier Quartiere, das der
Muhammedaner, der Christen, der Sephardim und der
Aschkenasim. Diese Quartiere sind völlig getrennt,
wie verschiedene Orte, und so kommt es, dass uns, die
wir, wie fast alle jüdischen Besucher, zunächst das
Juden viertel betraten, Safed eine ausschliesslich jüdische
Stadt zu sein schien. In Wirklichkeit leben daselbst
12 820 Seelen, von denen 5100 Muhammedaner, 1100
Christen, 4500 Aschkenasim und 2120 Sephardim, also
etwa 52 pCt. Juden sind, welche indessen den ganzen
— 134 —
Handel der Stadt und zum grossen Teil der Landschaft
monopolisiert haben. Auf dem Bazar herrscht eio
reges Leben und Treiben, das der Grösse des Ortes-
nicht nur entspricht, sondern eigentlich über seine Ver-
hältnisse hinausgeht. Leider ist das Judenquartier,
wenn auch reinliclier als das arabische, doch immer
noch sehr schmutzig und vor Allem sehr eng. Die
Strassen sind sehr schmal, die Höfe auf das äusserste-
beschränkt und in den niedrigen Häusern, die teils aus-
Stein, teils nur aus Lehm gebaut sind, wohnen die
Leute zusammengedrängt bei einander in ganz fürchter-
licher Enge. Es kann deshalb nicht Wunder nehmen,,
wenn trotz des überaus gesunden Klimas, dessen sich
Safed erfreut, unter derartigen Wohnungsverhältnissen,
welche durch die grosse Armut noch verschlimmert
werden, Krankheiten ständige Gäste sind und der Ein-
druck der Stadt ein durchaus ungünstiger ist, was aber
nicht hindert, dass der Zuzug von Juden fortwährend
steigt.
Von den beiden jüdischen Schulen der Stadt lässt
nach allgemeinem Urteil die Knabenschule, welche ein»
Herr Levy leitet, sehr viel zu wünschen übrig, während
die von Dr. Blidden gegründete Mädchenschule, dank
ihrem ausgezeichneten Direktor, Herrn Epstein, vor-
züglich ist. Letzteres können wir aus eigenem Augen-
schein bestätigen; die Schülerinnen wiesen bei einer
— 135 —
Pi-üfung ganz ausgezeichnete KeuntDisse im Hebräischen,
Französischen, Arabischen und im Reclinen auf, und
■wir mussten der Unterrichtsmethode des Direlitors
Epstein alle Anerkennung zollen. Nur die Räume, in
denen die Schule uutergehi-acht ist, welche in 3 Klassen
ca. lOO ZOglioge zählt, sind jammervolle und sprechen
jeder Hygiene Hohn, obwohl sie noch zu den besten
gehören sollen, die in Safed Überhaupt vorhanden sind.
Hier müsste, wenn die nötigen Summen zur Verfügung
ständen, die bessernde Hand angelegt werden. Man
sagte uns, dass Frau Dr. blidden in Amerika bedeu-
tende Mittel nir die Schule gesammelt habe, welche sie
der Älliauce zur Verfügung stellen wolle, wenn diese
die Schule unter Garantierung ihrer bisherigen Eichtung
tibemehme. Es wäre freudig zu begrüssen, wenn diese
ausgezeichnete Anstalt so eine definitive Eegelung er-
halten würde.
XIX.
Gegen ilittag kehrten wir von Safed nach Rosch
Finah zurück, restaurierten uns dort ein wenig und
brachen dann gegen ein Uhr auf, um noch am selben
Tage Tiberias zu en'eichen. Wir hatten indessen dies-
mal nicht so viel Glück mit den Pferden, wie beim
ersten Teil des Rittes. Unsere Tiere waren gewöhn-
liche Ackei^äule, nur daran gewöhnt den Pflug zu
r
— 136 —
ziehen, und trotz aller unserer Anstrengung blieb das
Tempo unserer kleinen Karawane ein sehr langsames.
Wir ritten zunächst durch die fruchtbare Ebene,
die den Hulehsee vom Meer von Tiberias trennt, und
freuten uns an dem Eifer, mit dem die jüdischen
Bauern von Rosch Pinah ihren Feldarbeiten oblagen.
Dann führte uns der Weg an dem Chan Dschüb Jussüf
vorbei, welcher, wie die arabische Sage erzählt, an der
Stelle erbaut ist, wo Joseph von seinen Brüdern in die
Grube geworfen wurde. Von da aus geht die Strasse
jeme Stunde lang über graue Steinfelder, wo die Pferde
fortwährend klettern mussten. Zahlreiche Ruinen da-
zwischen gaben ein Bild davon, wie dicht bevölkert
einst diese Gegend gewesen sein muss. Allmählich sind
wir bis an den See gelangt und sehen vor uns die
blaue Wasserfläche, an deren Ufer wir unseren Weg
fortsetzen. Das Ufer um den See herum ist rings von
massig hohen grünen Bergen eingeschlossen, hinter
denen im Osten die hohen Gebirge des Hauran und in
der Ferne der riesige Hermon sichtbar werden. Wie
fruchtbar die Küstenebene sein muss, zeigen die wilden
Gewächse, die als Gräser und Domengesträuche die
ganze Fläche bedecken; so hoch geschossen ist hier
das Unkraut, dass wir oft jeden Ausblick verlieren.
Kleine Bäche, durch die unsere Pferde waten müssen,
kreuzen häufig unseren Weg und ihr leises Rieseln be-
— 137 —
lebt angenehm die menschenleeren Flächen. Auf der
ganzen Strecke bis Tiberias haben wir nm* eine kleine
Ortschaft angetroffen. Ein einziges Beduinenlager
ausserdem erinnert uns daran, dass ausser uns noch
andere Menschen in dieser Einöde sich aufhalten; da-
gegen sind wir bis Tiberias keiner anderen Karawane
begegnet. Allmählich ist es dunkel geworden und die
Sonne untergegangen, allein an ein Nachtlager im
Freien ist für uns nicht zu denken, da uns dazu jede
Einrichtung fehlt. Wir müssen also wohl oder übel
weiter bis nach Tiberias, und da wir den schönsten
•Mondschein haben, so ist dieser Ritt auch durchaus
keine Unannehmlichkeit, im Gegenteil ausserordentlich
romantisch und ansprechend. Die Gegend, die wir
durchreiten, ist landschaftlich fast unvergleichlich und
der wunderbare Eindruck wird allen Teilnehmern des
nächtlichen Rittes unvergesslich bleiben. Der Mond
stand klar am Himmel und erhellte die Nacht in einem
Masse, wie es in einem nordischen Klima mit seiner
dickeren Luft niemals vorkommen kann. Wir ritten
bald näher, bald femer vom Ufer des Sees durch die
jnit dichtem Gras bewachsene Ebene, rechts von uns
die grünen Berge von Galiläa, bald niedrigen Hügeln
gleich, bald zu Bergen von mehreren tausend Fuss an-
steigend. Links von uns die weite Wasserfläche in
schönstem Blau, leicht gekräuselt durch linde Winde,
— 138 —
in majestätischer Ruhe, die kein Schiflf unterbricht, ein
weiter Spiegel, in dem sich die Berge und oft auch die
Conturen unserer eigenen Karawane magisch wieder-
spiegeln. Jenseits des Sees rings um demselben die
Berge des Hauran, bald gelben Sand, bald starre Felsem
zeigend und nur stellenweise durch grüne Gewächse
geschmückt. In der Feme immer höher auf-
steigende Gebirgszüge, bis weither der Libanon
in einem seiner höchsten Gipfel, dem Hermon mit
seinem schneegekrönten Haupt, hinüberschaut. Ueber
der ganzen Landschaft aber der Zauber des klarsten
Mondscheines in silberner Pracht, der den wunderbaren
Kontlast zwischen der beinahe tropischen Vegetation
um den See herum und dem fernen Schneefelde des
Hermon noch besonders hervorhebt. Ist doch der See
von Tiberias 208 Meter unter dem Meere, der Gipfel
des Hermon 2680 über dem Meere, sodass der Niveau^
unterschied 2900 Meter gleich ca. 9000 Fuss beträgt.
Man begreift, dass diese Höheunterschiede die Ver-
anlassung geben, dass in der Landschaft von der Flora
des ewigen Schnees bis zur subtropischen Flora die ver-
schiedensten Abstufungen sich zeigen. Der Reiz aber*
den diese Mondscheinlandschaft auf den Beschauer aus-
übt, er lässt sich nicht in Worte fassen, nicht beschreiben,
nur der Pinsel eines Malers könnte ihn wiedergeben. Uns
Teilnehmern dieses Rittes wird er unvergesslich bleiben*
— 139 —
Kurz vor Tiberias treten die Berge ganz nahe a»
den See heran, wir müssen einige 100 Meter hoch
klettern, um, auf dem Gipfel angelangt, unten das Ziel
unserer heutigen Reise, die berühmte Stadt Tiberias,
zu erblicken, welche mit ihren weissen Häusern, mit
den vereinzelten Palmen und den flachen, zum Teil
grün bewachsenen Dächern im Mondschein einen zauber-
haften Anblick gewährte. Eine halbe Stunde später
ritten wir in die Stadt ein, an jeder Strassenecke von
einem Hunde begrüsst, welche hier die Wachtpflicht-
der Schutzmannsposten in den europäischen Städten zu?
erfüllen scheinen.
Tiberias, die Stadt des Talmuds, welche nach der
Zerstörung Jerusalems eine so grosse Rolle in der Ge-
schichte unseres Volkes zu spielen berufen war, ist
jetzt ein kleines Städtchen von 5050 Seelen, der Mehr-
heit nach, nämlich 3200 Juden, 1500 Muhammedaner,
350 Christen. Unsere Glaubensgenossen, von denea
1620 Sephardim, 1580 Aschkenasim sind, bilden nicht
nur den stärksten Bruchteil der Bevölkerung, sondeni
beherrschen auch den Bazar und drücken überhaupt
der Stadt den Charakter einer ganz jüdischen auf.
Daher kommt es wohl auch, dass Tiberias von allen?
palästinensischen Städten nächst Haifa die reinlichste-
ist. Obwohl den europäischen Begriffen von Sauberkeit
noch nicht genügend, übertrifft doch der Jude, besonder»
— 140 —
der Sephardi, den eingeborenen Orientalen, den Mu-
liammedaner wie den Christen, an Sauberkeit und
Ordnungsliebe. Wie leider fast überall in den Städten
Palästinas, gehören die wenigen stattlichen Gebäude von
Tiberias den verschiedenen Missionsgesellschaften, be-
-«onders der Scotch Mission, welche indessen auch hier
unter den Juden wenig Erfolge aufzuweisen hat. Der
jetzige Stadtai-zt ist ein Jude, Dr. Rothstein, der kürz-
lich leider ergebnislose Anstrengungen machte, eine
jüdische Schule ins Leben zu rufen. Der Versuch
scheiterte an dem Widerstände der Rabbiner, ist in-
dessen nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.
Tiberias und seine Umgebung sehen ganz ägyptisch
aus; das Klima ist tropisch und in Folge dessen auch
die Flora, in welcher, wie in Aegypten, die Dattelpalme
tiberwiegt. Der See gleicht dem Nil zur Zeit der üeber-
schwemmung und die Stadtselbst mit ihren flachen Dächern
und furchtbar engen Strassen, in denen kein Wagen fahren
kann, sieht einer ägyptischen Landstadt ganz ähnlich
und zeichnet sich nur durch ihre Reinlichkeit aus.
In unserem Hotel, wo wir übernachten mussten,
fanden wir nur mühsam Unterkunft, der Wirt war ver-
reist, die Bedienung miserabel, aber es war dort ziem-
lich sauber und die Betten genügend. Am nächsten
Morgen durchstreiften wir die kleine Stadt und besuchten
«den lebhaften Bazar.
— 141 —
Wir hatten uns einen Wagen von Haifa
kommen lassen und brachen am anderen Morgen,
früh auf. Der Weg führte uns an Miskene,
Lübije, Esch-Schedschgra und Turän vorbei; in der
Feme sahen wir den Tabor (heute Djebel et-Tür)^
liegen, der mit seinem grünen Rücken wie ein aus
Thüringen oder dem Harz nach Palästina versetzter
Bergzug aussah. Das Land ist ringsum von höchster
Fruchtbarkeit, auch besser angebaut; Kefr Kenna, das^
wir dann passierten, hat ausgedehnte Fruchtgärten,
an welche sich grosse Olivenpflanzungen reihen, die-
von hier bis Nazareth reichen. Kurz vor letztgenannter
Stadt rasteten wir an der Quelle Er-R6ne, wo wir*
unsere Pferde tränken Hessen und Gelegenheit hatten,
die etwas fremdartige, aber höchst anziehende Schön-
heit der dortigen Frauen zu bewundern, welche als
griechische Christinnen unverschleiert gehen.
Nazareth, der Heimatsort des Stifters des Christen-
tums, wo in den ersten Jahrhunderten der christlichen
Zeitrechnung nur Juden wohnten, ist jetzt ein weitaus-
gedehnter Flecken mit meist christlichen Insassen. Es
zählt 9500 Seelen, darunter nur 3000 Muhammedaner
und keinen Juden, da diese von den christlichen Be-
wohnern nicht geduldet werden. Vor zwei Jahrea
machte der Verein Lemaan Zion den Versuch, eine»
jüdischen Schneider dort anzusiedeln, aber die Christea
— 142 —
misshandelten ihn und trieben ihn mit Gewalt aus der
Stadt und es wurde deshalb der Versuch nicht mehr
wiederholt. Die Stadt hat eine Menge christlicher
Anstalten, starrt aber nichtsdestoweniger von ganz un-
glaublichem Schmutz; auf dem Platze inmitten der
.Stadt bleichten die Gebeine von nicht weniger als 11
grossen Tieren, Kameelen, Pferden, Eseln und erzeugten
^inen unerträglichen Geruch, der uns zur grössten Eile
.antrieb. Durch musterhafte Reinlichkeit zeichnet sich
dagegen das am Ende der Stadt gelegene deutsche
Wirtshaus von Hcsselschwerdt aus, wo wir im Interesse
-unserer Pferde eine zweistündige Rast hielten.
Ein amüsanter Zwischenfall trug dazu bei, uns
während unserer Ruhepause zu zerstreuen. Ein türki-
ischer Polizeioffizier kam mit einem Dolmetscher und
fragte grimmen Blickes nach unseren Pässen. Wir
gaben ihm dieselben, aber ein Herr hatte keinen türki-
schen Pass (Teskereh) und wir waren in Sorge, wie er
^us der Verlegenheit kommen würde. Inzwischen kam
-aber der deutsche Wirt, der dem Offizier sagte, dass
wir alle Freunde von Herrn Ossowetzky seien. Sofort
^ab der Polizist die Teskereh zurück, grOsste respekt-
Tollst und verliess uns, ohne uns weiter zu belästigen.
Um 5 Uhr Nachmittags ging es weiter; bald
^enkte sich der Weg und wir durchfuhren die Ebene,
welche im AHertum Emek Jisreel hiess, heute den
— 143 —
Namen Merdsch ibn Amr führt. lieber die Fruchtbar-
keit dieses entzückend schönen Landteiles sprechen zu
wollen, heisst Eulen nach Athen tragen, aber darauf
sei doch hingewiesen, dass selbst diese reichgesegneten
Fluren fast gar nicht angebaut sind. Wiederum legten
wir eine weite Strecke im Mondschein zurück. Der
Nordländer kann sich nicht vorstellen, wie hell hier im
Süden der Mond scheint und welch zauberhaften Reiz
das Funkeln der Sterne am tiei1}Iauen Firmament in
solcher Nacht ausübt. Es war so hell, dass ich den
kleinen Beklamschen Druck mühelos lesen konnte.
Fünfzehn Kilometer vor Haifa stiessen wir auf die
grossen Bauten, welche hier für die Eisenbahn, die
Haifa und Acco mit Damascus verbinden soll, be-
gonnen wurden. Wir fuhren über eine mächtige Brücke,
welche das Bette des Kischon-Flusses überschreitet,
und weiter an derTrace der Eisenbahn entlang, derenBau,
wenigstens vorläufig, aufgegeben ist. Diese Thatsache
ist sehr bedauerlich, um so mehr, da Mangel an Geld
der Grund ist, während die Linien Haurän-Damascus
Hud Damascus-Beirüt vollendet sind und sicherlich den
grossen Getreideverkehr, der vom Haurän aus früher
nach Acco und Haifa durch die Merdsch ibn Amr ging,
an sich ziehen werden. In guten Jahren sah dieser
Weg nach der Ernte täglich 5000 mit Haurän-Weizen
beladene Kamele, während schon jetzt der Verkehr
— 144 —
stark nachgelassen hat. Die Gesellschaft, deren Mittel
vor der Zeit ausgegangen sind, wbt eine englische,
während die fertigen Bahnen französischen Aktienge-
sellschaften gehören. Sollte England sich den grossea
Einfluss entgehen lassen, den der Besitz dieses Schienen*
Weges in Palästina und Syrien ausüben kann?
Spät Abends fuhren wir in Haifa ein, wo wir
wieder im Hotel Kraft einkehrten. Der Rückweg nach
Jaffa, den wir auf der bereits geschildeiten Beute
nahmen, bot nichts Neues.
XX.
Gleich nach unserer Rückkehr von der galiläischen
Reise fuhr ich von Jaffa aus zum zweiten Male nach
Jerusalem. Ich will mich in dem folgenden Bericht
völlig darauf beschränken, meine persönliche Meinung-
und mein eigenes Urteil über die Menschen, Anstalten
etc., sowie über die Verhältnisse der heiligen Stadt zu:
geben, so wie ich sie sah. Diese Schüderung muss-
sehr lückenhaft sein, denn ich sah nur einen kleinen
Teil der vielen Sehenswürdigkeiten, ich lernte nur
wenige der bedeutenderen Persönlichkeiten in der.
heiligen Stadt kennen und vollends die Verhältnisse
kann der Fremde nach 5 lägigem Aufenthalt fast gar
nicht verstehen, aber andererseits sind die Auskünfte^
die man von unseren Glaubensgenossen in Jerusalem
— 145 —
erhält, so ausserordentlich widerspruchsvoll, um was
auch immer es sich handeln mag, dass man bei der
Wiedergabe sich der äussersten Vorsicht befleissigen
muss.
Mir erschienen die Verhältnisse der heiligen Stadt
so verschieden von denjenigen des übrigen Landes,
besonders aber unsere Glaubensgenossen in derselben
so anders geai-tet, als die Juden in Jaffa und den
Kolonien, dass man sich in ein anderes Land versetzt
■glaubt. Jetzt konnte ich mir auch das Urteil so vieler
Touristen erklären, die absprechend über das heilige
Land urteilen. Dieselben sind eben von Jaffa mit der
Bahn oder dem Wagen nach Jerusalem gefahren, haben
sich dort einige Tage aufgehalten und glauben sich
jetzt in der Lage, ein Urteil abgeben zu können. Wenn
sie gute Beobachter sind, mag dieses Urteil auch richtig
sein, aber es erstreckt sich nur auf Jerusalem und
seine nähere Umgebung und kann nicht ftlr das ganze
Land Palästina gelten. Die Verhältnisse sind eben
ganz verschieden.
Wenn man mit der Eisenbahn von Jaffa nach
Jerusalem reist, führt die Schienenstrasse zuerst durch
die Ebene von Saron, um dann ziemlich steil in die
Berge von Judaea emporzusteigen. Rechts und links
erheben sich steile Berge, ganz kahl anzusehen und
nur hier und da zeugen vereinzelte Olivenbäume
10
— 146 —
zwischen den Felsen davon, dass die alte Fruchtbarkeit
des Landes, von dessen hoher Kultur die vielen
Terrassenbauten Beweise liefern, noch nicht erstorben
äst. Erst kurz vor Jerusalem bei Bireh sieht man
dicht an der Bahn einen grossen Gemüsegarten, während
rings umher einsame Oede herrscht. Der Besitzer
dieses Terrains und der Landwirt, der darauf haust,
machen mit den Lieferungen feiner Gemüse für Jeru-
salem glänzende Geschäfte. Allmählich hat 4er Zug
die Höhe des Gebirgskammes erreicht und fährt auf
dem ziemlich ebenen Plateau. In der Feme werden
«einige Häuser sichtbar, alle Passagiere eilen zu den
Fenstern, es ist Jerusalem oder vielmehr eine Vorstadt,
die jetzt dort auftaucht. Bald pfeift der Zug und fährt
in den Bahnhof, ein einfaches, schmuckloses Gebäude
von recht bescheidenen Dimensionen, hinein. Die not'
wendigen Formalitäten sind rasch erledigt, der von
unserer Ankunft verständigte Hotelier Kaminitz er-
wartet uns mit einer Droschke und der am Ausgang
des Bahnhofes aufgestellte Polizist wagt den „Prussiani**
keine Bakschiachschwierigkeiten zu bereiten. Hier am
Bahnhof fällt es uns noch schwer an, die Thatsache zu
glauben, dass wir in Jerusalem sind; Eisenbahn und
Droschken in der altehrwürdigen Stadt der Religionen,
das ist ein zu grosser Gegensatz.
Der Bahnhof liegt nicht sehr weit von der Stadt,
— 147 ~
nur ca. 20 Minuten, aber wie verändert sich während
der Droschkenfabrt die ganze Szenerie. Die Strasse
geht etwas bergab und man sieht in die tiefen Schluchten,
die bis auf eine Seite Jerusalem rings umgeben. Gross-
:artige, wildromantische Ausblicke zeigen sich dem er-
staunten Auge und die blauen Berge, die in weiter
Ferne am Horizont sichtbar werden, sind die Berge
Moabs, während man von dem liefen Einschnitt des
Jordanthaies und dem toten Meere nichts wahrnimmt.
Diese Landschaft ist Jerusalems würdig und hier
•empfindet man die Schauer der Vergangenheit. Nicht
lieblich, sondern schauerlich wild und zerrissen zeigen
sich hier die Berge, sie zeigen die unvergleichlich feste
Lage der' heiligen Stadt, die sie befähigte, so vielen
Stürmen zu trotzen, und man denkt, unwillkürlich an
die Hohnworte der Jebusiter, die sie König David zu-
riefen: „Du wirst nicht hier hereinkommen, wenn Du
nicht die Blinden und die Lahmen entfernest" (Samuel
II. 5/6).
Nach wenigen Minuten der Fahrt wird die Cita-
»delle der Stadt sichtbar, eine mächtige Steinmasse, die
ihren Stützpunkt an dem gewaltigen Davidsturm hat,
jenem uralten Bauwerk, das nach der Sago von König
David errichtet ist, während die Gelehrten in ihm den
Turm Phasael finden wollen, von dem Josephus er-
zählt, dass ihn Titus bei der Zerstörung Jerusalems
10*
— 148 —
habe stehen lassen. Hinter der Citadelle kommt man
beim Jaffa Thor vorbei, vor dem auf einem grossen,
freien Platz ein lebhafter Verkehr herrscht. Durch
dieses Thor betritt der grösste Teil der Pilger undi
Reisenden aus Europa die heilige Stadt. Hier kommen
auch die meisten Karawanen an, und es ist daher
während der Reisezeit vor diesem Thore der Sammel-
punkt desjenigen Teils der Bevölkerung, der von*
Fremdenverkehr lebt. Hierher kommen die Dolmetscher
und die Fremdenflihrer, die Pferde- und Maultier-Ver-
mieter und die Kameltreiber. Zahllose Verkäufer voft
Andenken, von Gegenständen religiöser Verehrung, vont
Reiseutensilien etc. suchen hier die Fremden auf. Aber
ausser für diese Geschäftsleute ist hier auch del* Sammel-
punkt für die zahlreichen Bettler, die auf die Mild-
thätigkeit der frommen Pilger und auf die Gutherzig-
keit der reichen Touristen zu spekulieren gewöhnt sind..
Aber alle diese Geschäfte haben ihi^e Saison, nur
während der Reisezeit, die im November beginnt, um»
die Osterzeit ihren Höhepunkt erreicht und im Mal
schliesst, lohnt es sich für diese Art von Industriellen
vor dem Jaffa Thor die Fremden zu erwarten. In der
übrigen Zeit des Jahres verwandeln sich die Fremden-
führer und Dolmetscher wieder in kleine Händler oder
Handwerker. Der Verkäufer der interessanten Schnitze^
reien, die die Fremden so gern zu kaufen pflegen, geht
- 149 —
nieder hinter die Drechslerbank, um seinen gelichteten
Yorrat zu ergänzen, der Maultiertreiber zieht mit seinen
Tieren hinaus auf das Land, um bei den landwirtschaft-
lichen Arbeiten zu helfen, und die Bettler? ja die
Bettler bequemen sich eben zu arbeiten, wenn sie nicht
genug zusammengebettelt haben, um als Eentiers ein
lialbes Jahr lang leben zu können.
Wir besuchten Jerusalem zu seiner stillen Zeit in
der zweiten Hälfte des Oktober und nichts hat uns so
in Erstaunen gesetzt, als dass wir in dieser ihrer Bettler
halber so berüchtigten Stadt, während insgesamt fünf
Tagen Aufenthalts nur ein einziges Mal angebettelt
wurden. Selbst der Platz vor dem Jaffa Thor war zur
Zeit unseres Aufenthalts ganz leer von Bettlern irgend
welcher Art.
Vom Jaffa-Thor lenkt unser Wagen in die Strasse
•ein, die nach der Jaffa- Vorstadt führt. Es ist dies die
grosse Fahrstrasse, auf der sich vor Bestehen der
Eisenbahn der hauptsächlichste Verkehr von und nach
Europa bewegte. Die Jaffa-Vorstadt ist luftig gebaut
und enthält eine Menge schöner Gebäude, aber sie
leidet an einem grossen Uebel. Der Staub nämlich,
der sich von den Kalkfelsen entwickelt, kann oft uner-
träglich lästig werden. Die Jaffa-Strasse führt vorbei
an dem grossen Complex, der unter dem Namen „der
Eussenbau" bekannt ist, und eine Reihe grossartiger
— 150 —
Gebäude, darunter die russische Kathedrale, ein grosses^
Hospital und das russische Konsulat enthält, ausserdem
aber eine der schönsten Gartenanlagen mit umfasst,
die sich in der heiligen Stadt finden. Dann folgen
eine Reihe von Konsulats-Gebäuden zu beiden Seiten
der Strasse, einige jüdische Häuser-Kolonien, rechte
das deutsche Konsulat, auf der andern Seite der Strasse
die grosse Schule der „AUiance Israelite Universelle""
und endlich hält der Wagen vor dem Hotel Kaminitz^
vor dem wir absteigen. Das Hotel ist ein langge-
streckter niedriger Bau, wo wir alle Bequemlichkeiten
eines europäischen Gasthauses vorfanden; auch das
Essen war vorzüglich. Eine hübsche kleine Anlage
vor dem Hause erhöht durch ihr in der heiligen Stadt
so seltenes Grün den anheimelnden Eindruck des ganzen
Hotels. In dem Hotel verkehren die meisten jüdischea
Reisenden, die nach Jerusalem kommen, doch auch
sehr viele christliche Engländer und Amerikaner, und
vielleicht mit Rücksicht auf diese Elemente, hat der
Wirt den Plakaten der Mission so grossen Raum ein-
geräumt. Immerhin ruft es bei den jüdischen Reisen-
den doch ein sehr peinliches Gefühl hervor, auf Schritt
und Tritt im ganzen Hause den Empfehlungen der
Mission zu begegnen. Am andern Morgen machten
wir uns daran, einige jüdische Institute aufzusuchen,
an deren Besichtigung uns besonders lag. Unser erster
— 151 —
Besuch galt der Schule der ^AUiance Israelite Uni-
verselle." Dieselbe zerfällt in zwei Abteilungen, die
eigentliche Schule die 112 Schüler zählt, und die Hand-
werkerschule in der 143 Knaben verschiedene Hand-
werke lernen. Wir statteten der eigentlichen Schule
nur einen kurzen Besuch ab, wobei wir wiederum
Gelegenheit hatten, uns davon zu überzeugen, wie
schwierig der Unterricht im Orient durch den Sprachen-
wirrwarr wird. Da kommen zum Unterricht Kinder
zusammen, deren Wiege in Russland gestanden hat und
die nur den deutsch-polnischen Jargon sprechen, mit
anderen, die aus dem fernen Arabien stammen, und
nur den Dialekt Süd-Arabiens verstehen. Zwischen
ihnen sitzen die Kinder der eingeborenen sephardischen
Juden, deren Muttersprache spagnolisch ist, und Mog-
hrebim aus Marocco mit ihrer fremdartigen Aussprache
des Arabischen, die in Palästina fast garnicht ver-
standen wird. Zu diesen verschiedenartigen Elementen
kommen dann noch nichtjüdische Kinder hinzu, die
arabisch, türkisch oder auch nur französisch sprechen,
und so die babylonische Sprachverwirrung noch er-
höhen. Es begreift sich, dass unter diesen Umständen
es den Lehrern doppelt schwer wird, befriedigende
Resultate zu erzielen, und besonders die nötige Disziplin
aufrecht zu erhalten. In den oberen Klassen ist die
Unterrichtssprache der „Alliance"-Schule französisch,
— 152 —
jedoch wird auch dem hebräischen, sowie dem arabischen,
der eigentlichen Landessprache, ein breiter Raum ein-
geräumt.
Ungleich interessanter als die Besichtigung der
Elementarschule war aber der Gang durch die Lehr-
werkstätten, die ein besonderes Departement dieser
Schule bilden. Mit grossem Verständnis sorgt die
Leitung des Instituts dafür, dass Handwerke bevorzugt
werden, die in der heiligen Stadt nur wenig vertreten
sind. Es werden hauptsächlich gepflegt die Kunst-
schlosserei, Stellmacherei, das Schmiedehandwerk, die
Kunsttischlerei und Drechslerei. Eine besondere Auf-
merksamkeit wird beim Unterricht dem Zeichnen ge-
schenkt, und die Ausbildung in diesem Fache ist um
so wichtiger, als die jetzigen Handwerker in Jerusalem,
darunter auch die geschicktesten Drechsler, zwar häufig
viel natürliche Begabung zeigen, aber immer die
Schulung vermissen lassen, so dass besonders die Tier-
gestalten zu ganz unmöglichen Karrikaturen werden.
Der Anblick der vielen kräftigen Jünglinge, die in der
Schule die zum Teil recht schweren Handwerke ausüben,
ist ebenso erfreulich wie die Mitteilungen seitens der
Direktion der Schule. Nach diesen ist das Fortkommen
der bisher aus derselben entlassenen Zöglinge sehr gut
gewesen. Die Schule liefert eine Menge von Arbeiten
auch für nichtjüdische Institute und Privatpersonen,
— 153 —
2. B. erst kürzlich einen Wagen für den Pascha von
Jerusalem und Kunstschlosserarbeiten für die armenische
Elirche.
Ausser der AUiance-Schule besuchten wir noch eine
zweite jüdische Schule, die von Ephraim Cohen ge-
leitete Lämmle-Schule, die jetzt von Frankfurt a. M.
aus verwaltet wird. Dieselbe steht als Schule un-
zweifelhaft weit über der AUiance-Schule, wozu freilich
sehr bedeutend der Umstand beitragen mag, dass die
Schüler zwar auch sehr viel Verschiedenartigkeit auf-
weisen, aber doch nicht so viel als in jener Anstalt und
ausserdem sich leichter an Deutsch als Unterrichts-
sprache gewöhnen als an Französisch. Die Prüfung
der vier Klassen, die teilweise noch in mehrere Ab-
teilungen zerfallen, war uns eine wirkliche Freude.
Sowohl in den Sprachen als in Eechnen und was bei
«iner orientalischen Schule eine besondere Seltenheit
ist, in Naturwissenschaft, Geographie und Geschichte,
wiesen die Kinder gediegene Kenntnisse auf, so dass
man die Resultate denen unserer besten Elementar-
schulen in Deutschland an die Seite stellen kann.
Diese Resultate bedeuten umsomehr, als die Sprach-
schwierigkeiten hier einen lästigen Faktor bilden.
Weniger zufriedenstellende Eindrücke als von dieser
Schule hatten wir bei unserem Besuche im deutsch-
jüdischen Waisenhause in Jerusalem. Es ist dies nicht
— 154 —
Schuld der Verwaltung in Jerusalem, sondern beruht,
auf dem argen Mangel an Mitteln, der die Entwicklasg
dieses Institutes behindert. Das Haus, in dem sich
die Waisenanstalt befindet, bedürfte einer durchgreifenden
Reparatur, insbesondere das ganze Holzwerk des Ge-
bäudes verfault, wie es in diesem Klima überhaupt
schnell geschieht, und müsste erneuert werden. Auch
die Räume reichen bei weitem nicht für das Bedürfnis
aus, und an Stelle der 26 Knaben, die zur Zeit in der
Anstalt sind, müsste diese in der Lage sein, mindestens,
die doppelte Anzahl aufnehmen zu können. Die Kinder,
die jetzt die Wohlthat einer geordneten Erziehung ia
dem deutsch-jüdischen Waisenhaus gemessen, sehen gut
genährt aus und gehen sehr einfach, aber sauber ge-
kleidet. Es bliebe zu wünschen, dass das Comitee
des Waisenhauses in Frankfurt bald genügende Mittel
fände zu einer durchgreifenden Ausbesserung und Ver-
grösserung der Anstalt.
Gelegentlich eines Privatbesuches bei dem allseitige
beliebten Doktor des Vereins Lemaan Zion, Dr. Kri-
schewsky, zeigte mir derselbe die Apotheke, sowie die
Operationsapparate, die der Verein besitzt. Da waren sa
viele blanke Zangen, Messer und andere Apparate vor-
handen, dass uns fast unheimlich zu Mute ward. Die
Sprechstunde wird übrigens täglich von circa 100 Patienten
besucht und ebensoviel die Apotheke in Anspruch ge-r
— 155 —
nommen. Fieber und Augenleiden sind hier, wie übcralF
in Palästina, die Hauptkrankheiten, die anderen kommeOi
selten vor, auch die in Europa häufigen Lungenkrank-
heiten, Diphteritis, Typhus sind hier selten.
Das grösste jüdische Institut in der heiligen Stadt
sind die Pilger- und Armenwohnungen. Dieselben
liegen in der innem Stadt auf einem grossen, freien
Platze und enthalten einige 90 Wohnungen für arme^
Familien, von denen je ein Drittel unter Angehörige^
der deutschen Gemeinde, der ungarischen Gemeinde^
und aller übrigen jüdischen Gemeinden verloost werden.
Die Familien, denen diese Wohlthat zu Teil wird,,
dürfen gegen ein geringes Entgeld die Wohnung be-
nutzen und haben sich alle drei Jahre einer neuen.
Auslosung zu unterziehen. Ausserdem sind eine An-
zahl von Zimmern mit vollständiger Einrichtung vor-
handen, die von den durchreisenden europäischen Juden
benutzt werden können. Reiche Glaubensgenossen in.
Europa, insbesondere der Baron Eothschild in Frank-
furt a. M. haben dort stattliche Gebäude errichten
lassen, die den armen Familien der heiligen Stadt zur
Verfügung stehen. Auch an Synagoge, Cisterne etc.
fehlt es nicht. Von dem Fenster der Synagoge hat
man einen schönen Blick auf den Tempelplatz.
Unter den vielen interessanten Persönlichkeiten,
die wir in Jeiiisalem kennen lernten, hebe ich denn
— IM —
Salant
i*rr:r. nh ir^ vir *J:*e lLT>r*T^ UrKTredang hattoi.
L'> I:2S5*rT>? Ezsii'*^i.:=x cl-^ses ^'n^^sr^ydbok Hannes
isi ili: rrTii* irLjticiiresl ii»?r «r bestzt eineLeb-
IjIi^^ iis 2j: rfr! ;1^^ «sirZKS Bbsst. als er in
Virkliilieh i>t- Errr S£±i:i iramie uns Tor allza
gT^tSi^T Le: ±:rll -': izkeru cii tr^ilie mis folgendes
His:r.r)±^a: Siiia tct ^j Jahi^n habe er in Jerusalem
elr^nal einez: r^ten Fre::::ie, eisen mssiselieni Rabbiner
folgendes enj-f: Uen. als ihn: dieser aUeriei 3Iissbiäoche,
-die er in Jemsalem fani Tzrtieli: «In Jerusalem glaube
Deinen Angen nur halb. Deinen Ohren aber gamicht^
xor allen Dii:z»*n aber glaube Niemandem, mit dem Du
sprichst- auch mir nicht!* Den gleichen Bat wolle er
^ueh uns geben. Ich kann nor bestätigen, dass dies
-die klügste Rede war, die ich in Jerusalem gehört
habe, es ist für den Fremden ganz unmöglich, sich ein
richtiges Bild von den jüdischen Verhältnissen in der
heiligen Stadt zu machen, auch wenn er nicht wie wir
-o Tage, sondern 5 Monat, ja vielleicht 5 Jahre dort
verweilte. Man lasse sich, welche Sache man wolle,
von 3 Leuten in Jerusalem schildern, immer wird man
sie von 3 verschiedenen Seiten oft ganz widersprechend
zu hören bekommen und nur in einem sind alle Teile
-einig, dass nämlich alle Verhältnisse in Jerusalem
— 157 -
schlecht sind, ebenso dass alle anderen Juden in der
heiligen Stadt, ausser dem, der gerade am Erzählea
ist, eigentlich nichts taugen.
Bei den verschiedenen Besuchen, die wir de»
einzelnen Instituten abstatteten, hatten wir Gelegenheit,
einen grossen Teil von Jerusalem zu durchwandern^
und so wenigstens im allgemeinen ein Bild von dem
Aeussem der Stadt zu gewinnen. Die innere Stadt,
die noch von der Eingmauer umgeben ist, hat einen
durchaus orientalischen Charakter. Die Häuser sind
nach der Strasse zu fest vermauert, man sieht nur
kleine, enge Thore und selten Fenster. Die Strassen»,
sind schmal, und bei dem Mangel jeder Strassenpolizei
recht schmutzig. Selten unterbricht ein grösseres Ge-
bäude, eine Kirche, eine Moschee oder Synagoge die
Einförmigkeit der kleinen Häuser. Der Bazar, der
ziemlich umfangreich ist, zeichnet sich leider durcL
seine ünsauberkeit aus. Die kleinen Läden, in denen.
Waren von recht massiger Qualität feilgeboten werden,
befinden sich zum grössten Teil in vollständig über-
mauerten Gewölben, so dass sie gar kein natürliches
Licht erhalten, sondern mit recht kleinen Gel- oder
Petroleumlämpchen erleuchtet werden müssen. Die*
Lämpchen dürften nicht allzu oft geputzt worden sein,
denn abgesehen davon, dass das verwendete Gel und
Petroleum nicht gerade das wohlriechendste ist, so
— 158 —
Tnaclit sich auch der Rauch recht unangenehm geltend.
Ausserdem werden die verdorbenen Lebensmittel von
*den Händlern einfach auf die Strasse geworfen und
vermischen hier ihre Düfte mit denen der noch ver-
laufsfähigen, aber ebenfalls oft genug unsere Nase be-
leidigenden Nahrungsmittel und so wird der Leser
mit mir bedauern, dass die Eothschild'sche Fabrik für
Ätherische Oele, Bau de Cologne etc. am Meromsee
und nicht auf dem Bazar in Jerusalem liegt.
Viel respektabler repräsentieren sich die Vorstädte,
in denen der grösste Teil der Europäer wohnt, und
'«ich auch die meisten Wohlthätigkeits-Institute, Hospi-
lÄler, Schulen, Waisenhäuser etc. befinden. Auffallend
ist, dass unter diesen vielen Instituten die jüdischen
;an Umfang, sowie an äusserer Schönheit soweit hinter
den christlichen zurückstehen. Die Juden bilden die
grosse Majorität der Bevölkerung. Sie sollten doch
.auch nach aussen hin ein wenig repräsentieren können,
•und wenn dies den Juden des heiligen Landes aus
«eigenen Mitteln nicht möglich ist, so sollten doch die
Juden Europa's, die mit ihren Geldern den Glaubens-
genossen im heiligen Lande Wohlthätigkeits-Institute
•errichten, daran denken, dass es hier, wo so viele
christliche Sekten ihre Vertretung durch Patriarchen
und Bischöfe haben, auch darauf ankommt, das Juden-
tum würdig zu repräsentieren. Ohnehin ist es eine
— 159 —
bedauerliche Erscheinung, dass die Juden im sozialen
Leben der heiligen Stadt einen so geringen Einfluss
besitzen, obwohl ihnen nach ihrer Zahl zukäme, die
Tonangebenden zu sein. In Wirklichkeit aber finden
sie weder im Stadtrat, noch im Bezirksrat eine ihrer
Zahl entsprechende Vertretung. Die Teilnahme am
Handel, mit dem ganzen daraus sich ergebenden sozi-
alen Einfluss haben die Juden ebenfalls den Christen
überlassen, und so wirkt denn auf den europäischen
Eeisendon, der nach Jerusalem kommt, selbst auf den
jüdischen, nicht, wie es sein sollte, die heilige Stadt
in erster Linie machtvoll ein als die Stadt des Juden-
tums und des jüdischen Volkes.
Eines freilich kann der heiligen Stadt keine noch
so grosse Ungeschicklichkeit oder mangelndes Ver-
ständnis der heutigen Juden nehmen, dass ist die Er-
innerung an die gewaltige Geschichte, deren Schauplatz
einst diese Stätten waren, die Erinnerung an die ver-
lorene Grösse des jüdischen Volkes und den Tempel
mit all seiner Grossartigkeit. Nur wer an der oft be-
schriebenen Klagemauer, jenem düsteren Reste der
alten Tempelmauem stand, wer am Freitag Abend die
Tausen<le von Juden dort beten und die verlorenen
Herrlichkeiten betrauern sah, kann die Gefühle ver-
stehen, die diese gefallene Grösse in jedem denkenden
und fühlenden Menschen, nicht nur im Juden wacli-
— 160 —
rufen. Das sind Gefühle, die man nur nachempfinden^
aber nicht niederschreiben kann.
Als wir von der heiligen Stadt schieden, war uns
Allen neben jenen unaussprechlichen Gefühlen dos
Schmerzes über den Contrast zwischen dem heutigen
Jerusalem und der heiligen Stadt unserer Geschichte,
nur das eine Gefühl klar, dass wir alle unsere Kräfte
einsetzen wollen, damit das Jerusalem der Zukunft
wieder die Stadt des jüdischen Volkes und seiner alten
Grösse würdig werde.
XXI.
Von Jerusalem zurückgekehrt hielten wir uns in
Jaffa nur noch wenige Stunden auf und gingen noch
an demselben Tage auf das Schiff, das uns nach Port
Said bringen sollte. Der Abschied fiel uns recht schwer,
hatten wir uns doch in Jaffa dank der Liebenswürdig-
keit unserer dortigen Freunde wie zu Haus gefühlt.
Indessen wir waren 6 Wochen aus Europa abwesend
und die Sehnsucht nach unseren Lieben daheim fing
an sich geltend zu machen. Es erübrigt mir nur noch,
ehe ich zu der Eückreise komme, eine kurze Schilderung
derjenigen Kolonien, die wir nicht besuchen konnten.
Kastinieh, die südlichste der jüdischen Ansiede-
lungen, im alten Philistäerlande in der fruchtbaren
Schefelah gelegen, wurde von bessarabischen Juden
— 161 —
angekauft, dann, als diese von dem Kauf zurücktraten,
von dem bekannten Protektor erworben, welcher dort
eine Verwaltung einsetzte und auf einem Teile des
Terrains durch Tagelöhner Getreidebau treiben lässt,
auf einem anderen Pflanzungen angelegt, den Rest
an Araber verpachtet hat. Auf dem Gute, welches
7000 Dunam = 640 Hectar gross ist, stehen ein
steinerner Stall und einige 20 Holzhäuser, die sich hier
ganz gut bewähren sollen; auch die Gebäude der Ad-
ministration sind aus Holz. Der Boden ist im Ganzen
vorzüglich für den Getreidebau geeignet, doch gedeihen
auch die Pflanzungen, zumal eine grosse Baumschule»
sehr gut. Wie viele Juden hier leben, ist nicht leicht
anzugeben, weil die Zahl der jüdischen Tagelöhner sehr
schwankt, doch ist die Gesammtziffer auf durchschnitt-
lich 100 Seelen zu schätzen. Kastinieh ist von den
Palästina- Vereinen zur Errichtung einer Getrejidebau-r
Kolonie in Aussicht genommen.
In Ober-Galiläa liegen noch einige Terrains, welche
in jüdischem Besitz sich befinden und zum Teil bereits
in Kultur genommen sind. Pekiin, eine uralte An-
siedelung arabischer Juden, welche hier seit alten
Zeiten Ackerbau und Handwerk treiben, zählt etwa
30 Familien, welche aber zu wem'g Landbesitz haben
und daher sehr arm sind, so dass viele von ihnen in
den anderen Kolonien als Tagelöhner arbeiten. Ihr
11
— 162 —
Ritus und ihre Kleidung sind sephardisch. Merön, ein
der Gemeinde von Tiberias gehöriges Dorf, in dem
man das Grabmal des B. Simon ben Jochai zeigt, und
das alljährlich, am 33. Tage des Omer, der Zielpunkt
grosser Pilgerfahrten ist, umfasst ca. 100 Hectar, auf
denen etwa 24 000 Olivenbäume stehen und 20 jQdische
Familien durch Feldarbeit und Handwerk ihren Erwerb
finden. Machanajim, das dem Protektor gehört, liegt
bei Eosch Pinah und wurde bis zu diesem Jahre an
Araber verpachtet. Im vorigen Sommer hat man mit
Anpflanzungen auch dort begonnen und einige Gebäude,
Stallimgen etc. dazu errichtet. Das Areal umfasst
10 000 Dunam = 900 Hectar.
Ausserdem ist in der Umgebung von Bosch Pinah
noch eine Anzahl von weiteren, zur Zeit noch an
Araber verpachteten Terrains, insgesammt ca. 40 000
Dunam, im Besitze des Protektors, dem auch das be-
reits erwähnte Atlith in der Nähe von Sichron Jaakob
gehört. In Judäa befindet sich ausser den erwähnten
Kolonien das Gebiet von Kefr Saba (7500 Dunam),
Artüf, die alte Station der Mission, und endlich das
Jerusalem benachbarte Bama, wo man das Grab des
Propheten Samuel zeigt, in jQdischem Besitz. Ein Ver-
such, den man mit der Ansiedelimg yemenitischer
(arabischer) Juden in Bama machte, ist leider an der
Intervention der Begierung gescheitert, deren Erlaubnis
— 163 —
diese unerfahrenen Leate einzuholen versäumt hatten*
Man ist jetzt damit beschäftigt, diese Erlaubnis zu be-
«chaffen, um dann den Versuch zu wiederholen; denn
»die YemeniteB geben mit ihrer Arbeitsamkeit und Be-
dürfnislosigkeit ein sehr gutes Element für die Koloni-
sation ab. Im Ganzen kann man — natürlich nur an-
näherungsweise — den in jüdischen Bänden befind-
lichen Landbesitz im Westjordanland auf ca. 20 000
Hectar, das heisst 1 Prozent des Gesammtareais
^schätzen.
Seit einigen Jahren, d. h. seitdem die Erwerbung
Ton Landbesitz im westjordanischen Palästina auf
•Schwierigkeiten stiess, haben jüdische Gesellschaften
•sowie der bekannte Gönner jenseits des Jordan im
Dscholän und Haurän grosse Terrains erworben. Ge-
3aaue Angaben darüber sind zur Zeit nicht zu erlangen,
doch ist die Ausdehnung aller dieser Ländereien sicher
Äuf 10 000 Hectar zu berechnen und sie vergrössert sich
ibrtwährend durch Zukauf. Von den bekannten Ge-
nossenschaften haben dort Land erworben: die eng-
lischen Chowawe Zion bei Kunßtra, die von Jassy bei
Kokäb, die Gesellschaften von Jekaterinoslaw, New-
Tork und Montreal bei Sachem el-Djolän, die von
Dublin bei GuUän, die von Chikago bei Mes@ra, endlich
•die Glasgower bei Kokäb. Ausserdem hat der Pro-.
itektor in Sachem, das sehr günstig nur 2Vs Stande von
11*
— 164 —
el-Muz6rib, dem Endpunkte der Eisenbahn nach Da-
mascus, liegt, eine Administration eingerichtet und lässf;
die Schluchten des Jarmuk mit Pappeln bepflanzen«
und aufforsten. Hierdurch sollen grosse Terrains^
wieder zu Wald gemacht werden. Weiter südlich be-
sitzen Glaubensgenossen aus Safed, welche sich zu der
Genossenschaft Bnei Jehudah zusammengethan haben,
ein Areal von 25 000 Dunam am Jordan in der Nähe^
des Sees von Tiberias. Der Haurän ist seines Weizen*
wegen berühmt, der schon jetzt trotz der schlechteir.
Kommunikationswege einen grossen Exportartikel bildet
und unzweifelhaft noch grössere Bedeutung gewinnenr
wird, wenn die Eisenbahnen später billigere und sichere-
Befrachtung ermöglichen. Die jüdische Kolonisation ini
jenen Strichen wird denn auch in erster Linie Körner-
bau zu treiben haben, in zweiter Reihe Maulbeer-
plantagen und Seidenzucht und erst zuletzt Anpflan-
zungen von Wein und Fruchtbäumen. Die Bedingungen
der Kolonisation sind aber im Haurän günstigere, als-
im Westjordanland, weil der Boden sowohl, als auch*
die Lebensmittel billiger sind und die Eisenbahn deiv
Verkehr mit Damascus und Beirut, somit den Absatz
der Produkte sehr erleichtert. Ich glaube, dass gerade-
dieser , Teil der Kolonisation in nächster Zeit einea
grossen Aufschwung erwarten darf.
Ueber die jüdischen Bewohner in den Städten^
- 165 —
welche ich nicht einzeln erwähnte, seien noch einige
Zahlen hinzugefügt. Es wohnen in
•Oaza 17 675 Seelen darunter 75 Juden, 460 Christen
Ramleh
9611
n
ft
166
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26
«
i
/ 810
Sepbardim '
\
\
V619 A schkenasim .
}
Alle Zahlen im Orient sind natürlich nur schätzungs-
weise angegeben, doch muss man von vornherein gegen
die der Missionen einen starken Zweifel hegen mid man
wird gut thun, immer die niedrigeren anzunehmen, da
die Missionen und die Christen, zumal in Jerusalem,
dazu neigen, die Zahl der Juden zu übertreiben. Die
Gesamtziffer der Juden im heiligen Lande glaube ich
nicht höher als auf 50 000 Seelen veranschlagen zu
dürfen, d. h. 10—12 pCt. der Gesamtzahl der Be-
wohner Palästinas. Li den Dörfern wohnen als Kolo-
nisten, Beamte und Tagelöhner, wie ich glaube schätzen
zu dürfen, zur Zeit 5500 Seelen, obwohl auch diese
Ziffer nur als Durchschnitt gelten kann, da die Zahl
der Tagelöhner sehr schwankt.
— 166 —
XXU.
Am 5. November traten wir die Eückreise an^
welche wieder über Port Said festgesetzt wurde, nach-
dem wir unseren ursprünglichen Plan, über Konstanti-
nopel zu reisen, aufgegeben hatten, weil man in Jafla-
sich unter der Wirkung des Alles vergrössemden Ge-
rüchtes von den Armenier-Unruhen in der Hauptstadt
des türkischen Eeiches eine ganz falsche Vorstellung^
gemacht hatte. Dasselbe ist übrigens auch umgekehrt
der Fall: der sogenannte Drusen- Auf stand im Haurän»
machte in den deutschen Zeitungen so viel von sich
reden, dass man annehmen sollte, es handle sich um
Haupt- und Staatsaktionen. In Wirklichkeit sind es-
Ausschreitungen weniger Hunderte, die fast immer vor-
kommen und im Lande selbst wenig Aufsehen erregen;.
Das eigentliche Palästina wird sehr wenig davon be-
rührt, nur an der Brücke Dschisr benät Jaküb bei
Mischmar ist ein türkischer Posten aufgestellt, um di&
Drusen an der Ueberschreitung des Jordans zu hindern.
Dieser Posten bestand Ende Oktober, als wir dort
waren, aus 6 Mann Gendarmerie, während in ruhigeft
Zeiten nur einer dort stationiert ist. Man wird zu-
geben, dass ein Aufstand, der eine so riesige Macht-
entfaltung veranlasst, nicht allzu tragisch zu nehmen
ist. Palästina selbst ist dagegen vollkommen, man
— 167 —
könnte sagen musterhaft ruhig, man reitet unbewaffnet
und ohne Eskorte durch das ganze Land, und selbst
für das fanatische Näbulüs, wo der einzige Excess
stattfand, welcher während dieser Periode der Unruhen
und Aufstände im türkischen Eeiche in Palästina vor-
kam, erklärte der deutsche Consul in Jerusalem Waffen
oder eine Eskorte für einen „unnötigen Luxus." Wir
selbst baten keinerlei, Waffen mit uns geführt, sind oft
in kleiner Anzahl in arabischen Dörfern gewesen, sehr
oft mit den Arabern, Fellachen und Beduinen zusammen-
getroffen und haben nicht die geringste Unannehmlich-
keit erfahren. Die Unsicherheit der orientalischen
Strassen etc. ist eben, was Palästina betrifft, eine Fabel;
sicher kommen auf Landstrassen in Deutschland viel
mehr Raubanfälle etc. vor, als in Palästina.
Da wir nun unsere Heimreise wieder über Italien
machten, so bestiegen wir in Port Said den deutschen
Ostasien-Dampfer „Karlsruhe" vom Norddeutschen Lloyd,
der uns nach dreitägiger, sehr angenehmer Fahrt nach
Neapel brachte, von wo wir per Bahn in drei Tagen
nach Berlin zurückkehrten. Hätten wir die Landreise
ohne Unterbrechimg gemacht, so würden wir Berlin
von Neapel in 48 Stunden erreicht haben. Einen so
raschen Uebergang von der Sommer-Temperatur in
Egypten und Palästina und der Witterung eines freund-
lichen Herbstes in Italien bis zu dem Schnee, der auf
— 168 —
den Tyroler Alpen lag, in einer Woche durchzumachen,
hat einen eigenen Reiz; freilich wird es dem Reisenden
schwer, sich an das nordische Klima wieder zu ge-
wöhnen, aber die Erinnerung an die schönen wärmeren
Länder, die man soeben verlassen, gräbt sich um so
tiefer in das Gedächtnis ein.
Die Rückreise bot uns Gelegenheit, die grosse
Fülle von Eindrücken, welche unterwegs au£ uns ein-
wirkten, zu sammeln und zu ordnen. Wir konnten nun-
mehr prüfen, in wie weit unsere Erwartungen über-
troffen oder enttäuscht wurden, denn wir waren ja
nicht unvorbereitet hingegangen, sondern hatten schon
seit langem jede sich irgend bietende Gelegenheit be-
nutzt, um unsere Kenntnis Palästinas so zu erweitem,
wie dies aus Büchern und Briefen möglich ist. Den-
noch entsprach dasjenige, was wir gesehen haben, nach
keiner Richtung hin unseren Erwartungen, aber in den
meisten Fällen war die Enttäuschung eine sehr an-
genehme. Wir fanden das heilige Land gar nicht so
orientalisch, wie wir vorausgesetzt hatten, wohl aber
fast in jeder Richtung vorgeschrittener, als wir geglaubt.
Die Verkehrsmittel sind nicht so gut wie in Europa,
aber doch weit ausgebildeter, das Reisen viel bequemer
und die Verpflegung ungleich besser, als wir früher an-
genommen hatten. Nur Post- und Telegraphenwesen
sind noch sehr weit zurück und äusserst mangelhaft.
— 169 —
Indessen ist auch hier durch die jüdischen Kolonien
und den lebhaften Verkehr zwischen denselben ein An-
fang zur Besserung gemacht, indem die Beförderung
der Briefe von den Hafenplätzen aus jetzt meist durch
die Kolonisten erfolgt, die gelegentlich dorthin kommen.
Natürlich gilt dies nur von den für Juden bestimmten
Briefen.
Es war uns längst bekannt, dass Palästina keine
Wüste ist, wie man früher behauptet hat und Viele noch
heute glauben. Aber dass das Land unserer Väter so
fruchtbai' sei, wie dies in Wirklichkeit der Fall ist,
das war auch uns neu und von grösster Wichtigkeit
war uns, dies mit eigenen Augen zu beobachten. Nur
wer selbst gesehen hat, wie in Judäa aus dem Sande,
der einer Wüste gleicht, einfach durch den beharrlichen
Fleiss und durch die auf Erfahrung gestützte Intelligenz
eine fruchtbare Landschaft hervorgezaubert werden
kann, der selbst gesehen hat, wie einer Oase gleich
mitten in der Sandwüste das Dorf Rischon le-Zion liegt,
auf einem Platze, der noch vor 15 Jahren eine öde,
kahle Sandfläche war, nur der vermag es zu glauben,
dass dieser Sand Judäas ein fruchtbarer Boden ist.
In Galiläa freilich ist es anders, dort ist die Frucht-
barkeit so gross, dass die üppige, wild wachsende Ve-
getation von Gras und Unkraut Niemanden in Zweifel
lässt, welche Riesenschätze in diesen verwilderten
— 170 —
Boden schlummern. Das Gebirge Juda scheint ein
Steinmeer zu sein, auf dem nichts gedeihen könnte und
nur die alten Terrassen zeugen davon, dass dort einst
blühende Bodenkultur getrieben wurde. Aber wer in
die Geheimnisse der palästinensischen Landwirtschaft
eindringt, der erfährt, dass auch diese Steine frucht-
tragenden Boden bedeuten, dass in allen Ritzen dieser
Berge die Olive und andere Gewächse gedeihen, und
wer von der grossen Strasse abseits das Land besucht^
der sieht Stellen genug, wo sogar die Trägheit der
Araber diesem steinigen Terram reiche Anpflanzungen
abzugewinnen vermochte. Man messe nur nicht Pa-
lästinas gesegnete Fluren mit europäischem Masse, man
verlange nicht Erfolge zu sehen, wie sie das deutsche
Tiefland in seinen fruchtbaren Teilen bietet, sondern
man passe seme Forderungen dem Orient an, man baue
orientalische Pflanzen, züchte orientalische Tierrassen
und man wird erstaunt sein, welch reichen Ertrag das
Land bringt, nicht weniger als irgend eine Gegend
Deutschlands ihren Bebauern zu bieten vermag. Wenn
man aber vollends darauf verzichtet, sofort, in 3 oder
4 Jahren Erträgnisse zu erzielen, wenn man Pflan-
zungen anlegt, welche ihren vollen Ertrag erst in 8
bis 10 Jahren geben, so ist das Resultat ein erfreu-
liches, sind die Einnahmen für deutsche Begrifie gerade-
zu enorme zu nennen. Noch eins aber darf nicht ver-
— 171 —
gessen werden: sehr viele neue Erfahrungen sind dort
zu machen, es giebt noch so manche Kulturpflanze, die^
bisher in Palästina noch nicht rationell angebaut wird,
obwohl sie vielleicht ganz gut gedeihen könnte. Hier
wird noch mancher Versuch gemacht und manches^
Lehrgeld bezahlt werden müssen. Erfreulicherweise^
besorgt dies schon jetzt zu einem giossen Teile Mikweh
Jisrae], die vortreffliche Ackerbauschule der AUiance^^
isra61ite.
Zuden Fabeln über das heilige Land gehört auch die-
Eede von der dort herrschenden Unsauberkeit undBettelei.
Der Orientale ist nicht unsauberer, als die meisten Deut-^
sehen der niederen Stände, der orientalische sephar-
dische Jude fällt sogar durch seine Reinlichkeit ange-
nehm auf; wohl aber fehlt eine Polizei, wie wir sie-
gewohnt sind, welche die öffentlichen Gebäude, Strassen,
Plätze etc. reinhält. Doch ist dies nur in einigen
Fällen sehr störend, im Allgemeinen lange nicht so
lästig, als man sich in Europa vorstellt. Was die
Bettelei anbetrifft, so ist uns dieselbe nicht begegnet,
und es darf kühnlich behauptet werden, dass man ia
Berlin öfter angebettelt wird, als es uns im heiligen
Lande geschah. Mir sind während eines Monats nur
drei Fälle vorgekommen, je einer in Jaffa, Jerusalem
und Safed. Vielleicht liegt es daran, dass die jüdi-
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sehen Bettler es vorziehen ihr Geschäft brieflich mit
dem Auslande zu betreiben.
Was nun die nichtjüdische Bevölkerung des heiligen
Landes und ihr Verhalten zu den Juden anbetrilBFt, so
ist zunächst festzustellen, dass zwischen Muhammedanern
und Juden ein fast immer sehr gutes, zwischen beiden
einerseits und den Christen der verschiedenen Sekten
andererseits ein häufig sehr schlechtes Verhältnis ob-
waltet. So z. B. dürfen in Nazareth und Bethlehem,
wo die Christen überwiegen, noch heute keine Juden
wohnen. Mit der Regierung kommen die Juden im
Allgemeinen gut aus, natürlich müssen sie das landes-
libliche ,,Bakschisch" geben, sonst werden sie wohl
.auch einmal belästigt; aber dieses Schicksal teilen sie
mit allen anderen Landesbewohnem und die Höhe des
Bakschisch ist noch erträglich. Ich selbst hatte Ge-
legenheit zu sehen, wie ein türkischer Polizist bei 2
Metalliqes (8 Pf.) schalt und schimpfte, sich nicht be-
;stechen zu lassen erklärte etc., aber als er den dritten
Metallique, also im Ganzen 12 Pf. erhielt, sich um-
-drehte und verschwand. Major Conder erzählt von
*einem Fall, wo ein Pascha durch eine Lederhose als
Bakschisch zufriedengestellt wurde!
Sehr bedeutsam ist die Thatsache, dass das ganze
Land, zumal sein fruchtbarster Teil, Galiläa, eine sehr
«pärliche Bevölkerung hat, man kann sagen, fast
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menschenleer ist. Hier ist sicherlich noch nicht der
zehnte Teil des anbaufähigen Landes bestellt, und in
Galiläa allein können noch Hunderttausende als Bauern
ihr Brot finden. Das Gleiche, nur noch in erhöhtem?
Masse, gilt vom Haurän, aber auch der Süden, Judäa,
obwohl nicht so fruchtbar und schon stärker bevölkert,
hat noch viel leeren Platz für neue Ansiedler.
Die Juden des heiligen Landes bilden keinem
homogene Masse, über welche man gleichmässig urteilen
könnte. Die Bauern auf den Dörfern, die Städter in
Jaffa und Haifa, sowie in den kleinen Plätzen leben
mit wenigen Ausnahmen von ihrer Hände Arbeit. In
den übrigen Städten, in Jerusalem, Safed, Tiberias und
auch wohl in Hebron, sind die Sephardim meist Hand-
werker, Kleinhändler, Diener, Träger etc., die Spendea
fallen nur ihren Eabbinem, den Chachamim, zu. Da-
gegen ist unter den Aschkenasim die Zahl Derjenigen,
die gar keine Chalukah nehmen, sehr klein, und die
Masse Derer, welche nicht genug von der Chalukah
erhält, um davon leben zu können, wird trotzdem durch
dieselbe an das Bettelbrot gewöhnt, auch wenn sie in^
Uebrigen zu arbeiten genötigt sind, weil die Chalukah zu
klein ist. Sieherlich ist, wie zur Zeit die Verhältnisse npch
liegen, diese Chalukah eine Notwendigkeit, aber gerechter
könnte Manches in ihrer Verteilung schon sein. Dies gilt
in erster Linie gerade von der deutschen Chalukah.
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Die Zukunft Palästina's liegt nach jeder Richtung^
ynd zwar nicht blo» für unsere Glaubensgenossea, in der
EntWickelung der Kolonisation, welche heute der grösste
Kulturfaktor im gelobten Lande ist. Für unsere Brüder
aber ist die Ausdehnung der Landwirtschaft und im
Anschluss daran auch der Industrie geradezu eine
Lebensfrage, denn die Chalukah wird immer kleiner,
«die Zahl der sie Beanspruchenden immer grösser, so
dass auf den Einzelnen nur ein geringer und sich stetig
vermindernder Teil entfällt. Es isr deshalb doppelt
erfreulich, dass die Zukunft der Kolonisation mit gutem
Hecht als eine geradezu glänzende bezeichnet werden
darf. Alle Erfordernisse, welche ihr Gedeihen be-
dungen, sind bis auf eines im heiligen Lande gegeben:
^uter, fruchtbarer Boden, ausreichender Platz für grosse
Neuansiedlungcn, genug arbeitseifrige Elemente unter
den Juden, welche bereit sind, als Tagelöhner die Land-
wirtschaft zu erlernen, um später Bauern zu werden,
pnd endlich gute Vorbilder in den bereits bestehenden
Kolonien des Protektors. Nur Eines fehlt im heiligen
Lande: das Geld, welches alle die vorhandenen Kräfte
erst segenbringend zu erschliessen vermag. Dieses
Kapital zu beschaffen, mit dem man so vielen in ihrem
"Gcburtslande bedrängten und verfolgten Glaubensbrüdem
eine neue Heimat gründen und einen guten, ausreichenden
Erwerb zu sichern in der Lage wäre, muss Sache jedes
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Preimdes des heiligen Landes, wie jedes Philanthropen
sein, der sich ein Herz für die Leidenden und ße-
iirängten bewahrt hat. Wenn meine Darstellungen
hierzu beitragen werden, indem sie Vorurteile und Irr-
tümer über das gelobte Land zerstreuen und richtige
Anschauungen verbreiten helfen, dann hätte meine
Heise nach Palästina nicht nur mir selbst hohen Genuss
bereitet, dann hätte sie auch einen wirklichen Nutzen
gestiftet, und eben dies ist mein sehnlichster Wunsch
und meine stüle Hoffnung.
'^ Druck: A. Weichert, Berlin NO.
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